Das Anrüchige an sich: Über Wiener Toilette-Erfahrungen

Schöne neue Häuslwelt: Prater, nächst Jesuitenwiese.
Schöne neue Häuslwelt: Prater, nächst Jesuitenwiese.(c) Die Presse (Wolfgang Freitag)
  • Drucken

Das Anrüchige an sich muss ja noch nicht anrüchig sein.

Mitunter kann ihm sogar ein gewisser Charme eignen, bedenkt man etwa, dass einst selbst ein heute so hochgeschätztes Kulturgut wie der Wiener Walzer im Ruf jener verdächtigen Bedenklichkeit stand, die man häufig in das unseren Nasen abgeschaute Sprachbild kleidet. Freilich, nicht alles Anrüchige ist deshalb auch charmant. Man muss schon ein unverbesserlicher Euphemist (oder Stadtpolitiker) sein, um, sagen wir, anrüchige Immobiliengeschäfte charmantzureden. Und Ähnliches gilt für jene Beispiele von Anrüchigkeit, die unmittelbar in des Wortes eigentliche Bedeutung ressortieren. Womit wir bei den öffentlichen Toiletteanlagen der Kulturstadt Wien angelangt wären.

So erfreulich es in diesem Falle wäre, man könnte sie nicht riechen, so unerfreulich ist regelmäßig der nasale Befund (und nicht nur der), und die Not der Notdurft muss schon ziemlich groß sein, um der Benutzung dieser wahrhaften Ab-Orte ihrer sanitären Notdürftigkeit zum Trotz näherzutreten. Wenn sie denn wenigstens von Eignerseite für benutzbar gehalten werden. Nicht nur mein Leserpost-E-Mail-Ordner, auch meine eigenen Erinnerungen sind gefüllt mit Hinweisen auf Erleichterungsversuche, die vor verschlossenen Türen mit Aufschriften wie „Vorübergehend gesperrt“ oder „Derzeit außer Betrieb“ endeten.

Immerhin, 30 öffentliche Toiletteanlagen sollen in den kommenden Jahren in nirostanigelnagelneue Hightech-WCs verwandelt werden. Und während man neuerdings auf dem Ottakringer Yppenplatz gar bei Vogelgezwitscher und vor Waldbildern tun kann, was man halt so allenthalben tun muss, in Wiens derzeit einzigem „Erlebnis-WC“, nimmt sich die schöne neue Häuslwelt sonst eher so nüchtern aus, wie seit Kurzem im Prater zu sehen, nächst Jesuitenwiese: draußen dunkelgrauer Sichtbeton, drinnen kühler Edelstahlglanz. Ist auch besser so: Erlebt haben wir in hiesigen Toiletten bis dato ohnehin genug.

E-Mails an:wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.