Wunder Wien: Wo wächst, was doch nicht größer wird

Wirtshaus? Baustoffhändler! Rendezvous bei Stammersdorf.
Wirtshaus? Baustoffhändler! Rendezvous bei Stammersdorf.(c) Wolfgang Freitag
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Wir wissen: Zahlen zählen. Folgerichtig gibt es auch „Wien in Zahlen“.

Wir wissen: Zahlen zählen. Die Leistung der Burgtheater-Direktion wird in Auslastungsprozenten gemessen, die Leistung der Regierung am Null-(oder eben Nichtnull-)Defizit, die wirtschaftliche Potenz von Unternehmen am Börsenkurs. Und wiewohl jeder von uns ahnt, wie wenig nackte Zahlen eine immer komplexer werdende Welt fassen können, ebendiese immer komplexer werdende Welt lässt uns umso insistenter nach einfachen Zahlenmaßstäben gieren.

Folgerichtig gibt es auch „Wien in Zahlen“. Und das seit Jahren, alljährlich von der Magistratsabteilung 23, zuständig für Wirtschaft, Arbeit und – eben – Statistik, auf den aktuellen Stand gebracht. Sollte man jedenfalls erwarten dürfen. Immerhin finden sich neben so gut wie unveränderlichen Größen auch solche, die einer gewissen Schwankungslust unterliegen: neben der Wiener Fläche (41.487 Hektar) und der Länge der Stadtgrenze (136,5 Kilometer) etwa auch der „Personalstand des Magistrats im engeren Sinn“ (zu vergangenem Jahresende 29.456). Oder– ganz neu! – der „Big Mac Index“, die „notwendige Arbeitszeit für den Kauf von einem Big Mac“, der seine Berücksichtigung mutmaßlich der Tatsache verdankt, dass Wien wenigstens dabei Europas Kapitalen anführt.

Nichts davon werden wir selbst messen können – was die Dignität solcher Produkte stets zur Glaubenssache macht. Umso schwerer wiegen jene Fälle, in denen wir ausnahmshalber doch Angegebenes falsifizieren können. So steht zum „nördlichsten Grenzpunkt“ Wiens zu lesen, er liege „ca. 1400 m nordwestlich des Wirtshauses Rendezvous“, nur: Auf dem „Rendezvous“ oberhalb Stammersdorf gibt's seit Jahren schon kein Wirtshaus mehr. Die ehemalige Poststation dient längst einem Baustoffhändler als Quartier. Erstaunlicher noch, dass sich trotz all der beharrlichen (auch im Geleitwort strapazierten) Wien-wächst-Rhetorik die verbaute Fläche vom Vorjahr auf heuer um keinen Quadratmeter vergrößert hat. Ein Wunder? Vielleicht. Oder vielleicht nur in die Jahre gekommene Statistik?

E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2015)

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