Schmalhans ist der beste Küchenmeister (1)

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Du hast ja nach mehr als zwei Jahren in Amerika immer noch nicht zugenommen, stellen Freunde und Bekannte während meiner Heimaturlaube bisweilen fest, und daran knüpft sich meist eine mehr oder weniger inspirierte Blödelei über adipöse Amerikaner und monströse Essensportionen.

Wenn man als Europäer in die USA kommt, kann man sich meiner Erfahrung nach für zweierlei entscheiden: Entweder man konsumiert und isst, wie es hier die meisten tun, also in großen Mengen, fetter, salziger und süßer, als man es von daheim gewohnt ist.

Oder man beginnt umso angestrengter über das Essen, seine geschichtliche Herkunft und gesundheitliche Wirkung nachzudenken. Ich neige zum Beispiel immer stärker der These zu, dass die besten regionalen Küchen der Welt ihre Wurzeln in historischer Armut, im Mangel und in der Knappheit haben. Wo sich die Menschen überlegen mussten, wie sich aus dem Wenigen, das sie ihren Äckern, Wäldern und Gewässern entlocken konnten, etwas Schmackhaftes zubereiten ließe, haben sich die größten Kochtraditionen entwickelt. Das kann man anhand der toskanischen Cucina Povera, der „armen Küche“, ebenso exemplifizieren wie angesichts des wunderbaren Essens auf Korsika oder in Südostasien.

Auch in den USA lässt sich diese Behauptung untermauern: Das beste Essen in den Vereinigten Staaten, der einzige genuin amerikanische Beitrag zur Weltküche, stammt aus New Orleans und Umgebung. Die Küche der Cajuns, der ursprünglich französischkanadischen Trapper und Waldläufer in den Sümpfen Südlouisianas, weist heute noch in all ihrer Verfeinerung darauf hin, dass das arme Leute waren, die alles aßen, was ihnen in die Fallen oder vor die Büchsen geriet. Denn darum ist die Cajun-Küche so fantastisch pikant: weil man mit der Würze einst auch das Opossum und den Waschbären halbwegs genießbar machen konnte. Nächste Woche möchte ich diese Überlegungen hierorts ein wenig verbreitern. Bis dahin: Guten Appetit – aber bitte in Maßen.

E-Mails an:oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2015)

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