Wien darf nicht Salzburg werden

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Wenn in Wien Regen fällt, und da reicht schon ein kleiner, feiner Nieselregen, implodiert die Stadt.

Nun ist seit Wochen schon davon die Rede, was aus Wien wird nach diesem Sonntag und vor allem, wer in Wien was wird, aber eines wird dabei nie erwähnt, nämlich wovor Wien, oder besser gesagt, die Bewohner von Wien, am meisten Angst haben. Es ist gar nicht der Bürgermeister, ob alt oder neu. Es ist der Niederschlag. Denn wenn in Wien Regen fällt, und da reicht schon ein kleiner, feiner Nieselregen oder das, was ältere Semester noch als „Nebelreißen“ bezeichnen, implodiert die Stadt.

Der Bus, der sonst im Minutentakt durch die Gassen donnert, kommt gar nicht mehr. Und wenn er kommt, stehen die Menschen drinnen dicht gedrängt, mit weit aufgerissenen Augen. Weil sie zu spät kommen, weil nichts weiter geht und weil der Nachbar, der einem seinen bemantelten Ellbogen ins Gesicht rammt, nach Hund riecht, obwohl er gar keinen Hund hat. Wenn es in Wien regnet, riechen alle Mäntel nach nassem Hund.

Der Autoverkehr ist auch schon zum Erliegen gekommen, wegen der Aquaplaning-Gefahr und weil die Fußgänger, auf ihre Smartphones starrend, irgendwo über die Straße rennen und gleichzeitig die Kapuzen über ihre Köpfe ziehen müssen. Da geht sich ein Blick nach links und rechts einfach nicht mehr aus. Das Gute daran, dass alle ihre Telefone in der Hand haben, ist, dass sich weniger Menschen mittels Schirmstechen Platz verschaffen. Keine Hand mehr frei.

Wenn es Niederschlag gibt, werden die Zugezogenen aus den Bundesländern zu Experten, sie kennen den richtigen Regen aus Salzburg, den dichten Nebel aus Niederösterreich und vor allem auch den Schnee, vor dem ein Städter mehr Angst hat als vor der Ringstraßensperre. Und das heißt etwas.

Es geht am Sonntag gar nicht darum, dass Wien nicht Istanbul oder Leipzig werden darf. Wien darf nicht Salzburg werden. Der Regen muss endlich in seine Grenzen gewiesen werden. Wir lassen uns unsere schöne Stadt nicht wegnehmen.

E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2015)

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