Wo geht's ins Giraffenland?

Pieter Brueghel
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Über ein fast vergessenes Fantasieland aus Regenbogenfarben, Glitzer und Zuckerwatte.

Bei all den Märchen, die verlässlich und trotz teils fragwürdigen Inhalts von Generation zu Generation weitergegeben werden, kommt es mir vor, als würde auf einen Fantasieort total vergessen: Auf das Schlaraffenland nämlich, vom dem in meiner Kindheit – zumindest will es meine Erinnerung so – dauernd die Rede war. Das ist wie im Schlaraffenland, wir sind hier ja nicht im Schlaraffenland und so.

Für mich als Kind hieß das Land aufgrund eines Verhörers lange Zeit „Giraffenland“. Die Erkenntnis, dass das sowas von gar nichts mit den Tieren mit den langen Hälsen zu tun hat, kam mir erst sehr spät. Wobei es in meinem persönlichen Giraffenland weniger die Dinge gab, die man gemeinhin damit verbindet: Fixfertig gebackene Backhenderln, die durch die Luft fliegen, taten mir damals schon leid. Flüsse aus Milch und Honig waren für mich abstoßend, weil für mich die Haut auf der warmen Milch die kulinarisch größtmögliche Katastrophe darstellte. Mein persönliches Giraffenland war gefüllt mit den drei großen Verboten meiner Kindheit: Dreh & Trink, Coca-Cola und Pommes.

Seit ich vom Schlaraffenland erzählt habe, hat auch das Kind seine eigene Fantasiewelt geschaffen: Alles ist aus Zuckerwatte, jedes Haus in Regenbogenfarben bemalt, es glitzert und blinkt überall, und an jeder Ecke soll es weiße und braune Schokolade geben. Und, sagt das Kind: Man darf den ganzen Tag fernsehen. Und Erwachsene dürfen nicht alles bestimmen.

In so einem regenbogenfarbenen Zuckerwatteland, will ich schon sagen, voller Glitzer und überdrehter, weil überzuckerter Kinder würden es Erwachsene eh nicht lang aushalten, sie würden über den Dreh&Trink-Fluss springen und so rasch wie möglich flüchten. In das Schlaraffenland der Großen, in dem sich die Wäsche von selbst wäscht und bügelt, die Kinder sich gern die Zähne putzen und sich ohne allmorgendliche „Aber meine Frisur wird sonst schiach“-Debatte im Herbst und Winter freiwillig die Haube aufsetzen. Wie auch immer man in dieses Giraffenland kommt: Ich nehme eine Jahreskarte, bitte.

E-Mails an: mirjam.marits@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2015)

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