Wieso ist die Frau so dick?

fluesternde Kinder - boys are whispering
fluesternde Kinder - boys are whisperingwww.BilderBox.com
  • Drucken

Kids, pflegte mein Gastvater während meiner Zeit als Au-pair-Mädchen zu sagen, are brutally honest. Brutal ehrlich.

Kids, pflegte mein Gastvater während meiner Zeit als Au-pair-Mädchen zu sagen, are brutally honest. Brutal ehrlich. Das findet man als Erwachsener häufig unglaublich erfrischend. Von wegen die Kleinen verstellen sich wenigstens noch nicht. Die sind nicht so falsch wie wir Erwachsenen. Die können halt noch nicht lügen.

So positiv diese Ehrlichkeit an sich ist, ihre Nebeneffekte sind oft weniger angenehm, sprich: So erfrischend findet man diese kindliche Offenheit vor allem dann, wenn es nicht das eigene Kind ist, das lautstark im 13A kundtut, dass ein gewisser anderer Fahrgast seltsam riecht/aussieht/herschaut. Ganz kleinen Kindern verzeiht man das mit dem Hinweis auf die natürliche Neugier selbstverständlich gern, auch wenn damit verbunden ist, dass sie sich laut wundern, wieso die dicke Frau so alt ist. (Oder war die alte Frau so dick?)

Mittlerweile, mit fünf Jahren, kommentiert das Kind nicht mehr ganz so unverblümt, was es etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln an anderen Fahrgästen akut aufregend findet: Das Mit-dem-Finger-Hinzeigen wurde vom Ins-Ohr-Flüstern abgelöst, was zwar etwas leiser ist, als laut durch den Bus zu schreien, aber auch nicht wesentlich unauffälliger. (Kinder flüstern nämlich selten, wenn sie glauben, dass sie flüstern.)

Bei der eigenen Mutter ist die Direktheit aber geblieben. Die süße Naivität des Kleinkindes („Wieso hast du so viele Linien im Gesicht?“) ist gnadenlosen Kommentaren gewichen: Als ich neulich aus Anlass einer Hochzeit von der Friseurin eine coole Frisur geföhnt bekam und meinte, dass ich gern jeden Tag so viel Volumen im Haar hätte, meinte das Kind nüchtern: „So gut hat dir das wieder auch nicht gepasst.“ Bei anderen Verwandten ist das Kind ein bisschen taktvoller. Als die Oma nach ihrem Friseurbesuch ein Foto von ihrem neuen Haarschnitt mailt, meint das Kind: „Sie sieht aus wie immer. Aber schreib ihr das nicht.“ Neulich hat mir das Kind selbst eine Frisur verpasst, die etwa 15 Haargummis und ebenso viele Spangen umfasste und meinte: „Mama, du siehst immer noch aus wie meine Mama. Und bist trotzdem schön.“ Ich hab dich auch lieb, Kind.

E-Mails an: mirjam.marits@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.