Kleines deutsches Eck und großes deutsches Eck

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Als die Semesterferien noch Energieferien genannt wurden, vor langer Zeit also, da gab es noch Grenzkontrollen.

Als die Semesterferien noch Energieferien genannt wurden, auch als sie gar keine mehr waren, im Sinne der Erfinder zumindest, und wir Kinder glaubten, sie hießen so, damit wir Energie tanken konnten, indem wir uns auf der Piste verausgabten, vor langer Zeit also, da gab es noch Grenzkontrollen.

Ging es nach Tirol, war die große Frage, die von den Erwachsenen durchaus kontrovers diskutiert wurde: Kleines deutsches Eck oder großes deutsches Eck? Allein die Erwähnung erfüllte uns mit freudigen Schauern. Jetzt war eine Urlaubsanreise schon ohne Grenzübertritt aufregend genug, aber in Verbindung mit Zollbeamten und deutschen Autobahnen war die Fahrt an Nervenkitzel kaum zu überbieten. Zwar war es auch in Richtung Süden spannend, aber die italienischen Beamten wirkten immer so wie aus einem Spielfilm, unwirklich irgendwie, während die Deutschen uns ganz real einschüchterten. Und alle hatten einen Schnurrbart. (In die Nähe der Grenze Richtung Osten kamen wir nie.)

Die Mutter saß auf dem Beifahrersitz und hatte alle Pässe, an der richtigen Seite aufgeschlagen, ineinander geschlichtet, schon eine halbe Stunde vor der Grenze griffbereit in der Hand. Dann gab es Stau und die mit zunehmender Gereiztheit diskutierte Frage, welche Spur die mit Sicherheit langsamste war. Jedes Mal fragten wir uns bang, ob wir auch unseren Kofferraum würden öffnen müssen. Zwar hatten wir keine verbotenen Sachen mit, aber die Menschen, die frierend neben ihren Autos standen, während die Schnurrbärte durch die Skiunterwäsche im Koffer wühlten (wie peinlich), sahen auch nicht gerade aus wie Kapitalverbrecher.

Dieses Wochenende, wenn sich Wiener und Niederösterreicher auf den Weg in den Westen machen, wird es auch wieder Stau geben. Und Grenzkontrollen. Aber es ist nichts so wie damals. Die Kinder fragen, ob es bei uns eigentlich auch Krieg geben kann und warum wir uns da so sicher sind, und man wünschte, ihre größte Angst wäre die vor Zollbeamten.

E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2016)

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