Leute, die auf Fotos den Daumen nach oben strecken

(c) REUTERS (RUBEN SPRICH)
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Wer sich beobachtet fühlt, wirft sich in Pose – und zerstört damit jedes ausdrucksstarke Bild.

Kandierte Äpfel sind ein Etikettenschwindel. Da freut man sich auf etwas Süßes, und nach dem Reinbeißen bekommt man nur Obst. Dass diese Vitaminmimikry nicht so recht in die gerade erst angebrochene Jahreszeit passt, ist korrekt. Aber wenn schon kurz nach dem meteorologischen Frühlingsbeginn der erste Sommertag in die Kalender eingetragen werden darf, sei diese kleine saisonale Blendung verziehen. Zur Erklärung: ein Sommertag ist im meteorologisch-klimatologischen Sprachgebrauch dann, wenn die Tageshöchsttemperatur 25 Grad Celsius erreicht oder überschreitet. Früher hätte es das nicht gegeben, möchte man da empört ausrufen, also zumindest nicht schon so kurz nach dem Ende des Winters. Aber der ist ja auch nicht mehr, was er einmal . . . so, genug lamentiert, Sommermodus an.

Und damit hin zu all den Fotos von lächelnden Menschen, die genau während eines Sprungs abgelichtet werden bzw. während etwa 37 Sprungversuchen, bis das Handy tatsächlich genau in dem Moment auslöst, in dem beide Beine möglichst viel Abstand vom Boden haben, alles sehr kompliziert. Es ist aber auch einfach nicht einfach, jemanden in einer unverfänglichen Pose einzufangen. Kaum freut man sich, dass man einen Menschen in einer gedankenverlorenen oder beschäftigten Haltung vor der Kamera hat, registriert der, dass er gleich fotografiert werden wird – und hebt den Daumen, macht ein Victory oder begibt sich in sonst eine unnatürliche Körperhaltung. So hat man statt eines ausdrucksstarken Bildes, das man dem Lonely Planet verkaufen könnte, einen grinsenden Thumbs-up-Körper auf dem Speicherchip. Vermutlich haben Menschen einen eigenen Sinn dafür, dass sie beobachtet werden. Und einen Instinkt, der sie dazu bringt, sich dann zum Affen zu machen. Ein bisschen wie ein kandierter Apfel. Obwohl, nein, der hat damit eigentlich gar nichts zu tun.

E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2016)

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