Eingekocht in Amerika

Maiskolben / Kukuruz
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Je länger ich in den Vereinigten Staaten lebe, desto deutlicher erscheint mir, dass das Essen eines der wichtigsten politischen Themen in diesem Land sein sollte.

Ob bei der Autofahrt entlang schier endloser Maisfelder in Iowa, die einzig der Herstellung von Ethanol geweiht sind, beim Besuch in kalifornischen Landwirtschaftsgemeinden wie Huron, woher fast alle Paradeiser stammen, die in den USA gegessen werden, während die Erntearbeiter ohne Armenspeisungen hungern würden, oder beim Blick in die Einkaufswagerln im Supermarkt, die Hand in Hand mit sozialem Status und Gesundheitszustand gehen: In Amerika tritt alles, was uns in Europa in Sachen Landwirtschaft und Ernährung beschäftigt, noch deutlicher zutage.

Wenn man zu bedenken gibt, dass die Politik sich die Förderung des bewussten Essens zur Aufgabe machen sollte, wird einem oft der Vorwurf einer elitären Weltsicht entgegengeworfen. Das ist ein Totschlagargument schwärzester Rabulistik, und die vierteilige Serie „Cooked“ auf Netflix veranschaulicht, wieso. Der Autor Michael Pollan ist einer der brillantesten Denker in dieser Frage, mit der Serie macht er sein gleichnamiges Buch aus dem Jahr 2013 einem breiteren Publikum zugänglich. Wieso schmeckt gebratenes Fleisch besser als rohes, und was hat das für die Entwicklung der Menschheit bedeutet? Ist der neue Volkssport Gluten-Unverträglichkeit eher Folge der industrialisierten Schändung des Kulturgutes Brot als eine plötzliche Massenkrankheit? War das Bierbrauen der Grund dafür, dass wir vor einigen Tausenden Jahren im Zweistromland sesshafte Ackerbauern wurden, und nicht das Brotbacken? Und, ein Gedanke, der mich besonders fasziniert: Markiert der Ekel beziehungsweise die Begeisterung, die wir hinsichtlich bestimmter fermentierter Lebensmittel wie Rohmilchkäse oder Kimchi verspüren, die Linien zwischen Gemeinschaften, die sich sozusagen durch den Genuss bestimmter stinkiger Lebensmittel gegenüber anderen abgrenzen? Wir sollten die Debatte über das Essen und seine Herkunft intensiver führen; „Cooked“ wäre eine gute Ausgangsbasis dafür.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2016)

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