Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht

Man hat sie als Schüler auf seine Hefte gekritzelt oder auf Toilettenwänden gelesen, manchmal waren sie auch auf Wände gesprüht: Sprüche.

Man hat sie als Schüler auf seine Hefte gekritzelt oder auf Toilettenwänden gelesen, manchmal waren sie auch auf Wände gesprüht: die Sprüche, die in den 1980er-Jahren vornehmlich pazifistisch („Fighting for peace is like f . . . . . . . for virginity“), ökologisch („Noch gibt es genug Wald für Straßen“) und nihilistisch („Wir haben unsere Zukunft schon hinter uns“) waren. Später verlagerten sich sogenannte kluge Sprüche („Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“) auf Karten und Schilder, die man im Büro bevorzugt vor sich platzierte, ganz nach dem schlichten Motto „Arbeit ist für mich alles, aber ich kann mich nicht um alles kümmern“.

Vor allem aus Ämtern und Spitälern ist diese Art der nonverbalen Kommunikation mit Antragstellern und Patienten auch heute noch nicht wegzudenken. Sonst haben sich Sprüche auf T-Shirts verlagert, sind deshalb kürzer geworden („Denken hilft“) und gern Parolen an sich selbst („Do more of what makes you happy“).

Ein Klassiker der 1980er-Jahre, Richtungswechsel einzufordern, ist unter umgekehrten Vorgaben indessen in der Politik und im politisierenden Umfeld angekommen. „Wenn du in den letzten Jahren deine Meinung nie geändert hast, dann fühle mal deinen Puls, vielleicht bist du schon tot“ hieß es damals. Seine Meinung zu ändern gilt heute allerdings als Niederlage. Wer dies tut, ist wankelmütig, steht nicht zu seinen Prinzipien. Der Meinungsaustausch hat nicht das Ziel, den anderen zu überzeugen, seine Ansicht zu überdenken, sondern recht zu behalten.

Insofern war es bemerkenswert, als ein ÖVP-Politiker unlängst Konrad Adenauer zitierte: „Es kann mich niemand daran hindern, über Nacht klüger zu werden.“ Er reihte sich damit in die Reihe jener Politiker ein, die sich gern geflügelter Worte bedienten, man denke nur an die Wahrheit, die eine Tochter der Zeit ist. Es wird nicht lang dauern, bis auch ein anderer Klassiker wieder aufgewärmt wird: „Nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter dir her sind.“


E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

(Print-Ausgabe, 27.05.2016)

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