„Die reichen Leute, sie sind nicht wie wir“

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Vergangene Woche war ich in London, und bevor ich mich auf den Weg zum Bahnhof machte, suchte ich noch schnell einen traditionellen britischen Tuchhändler auf.

Vergangene Woche war ich in London, und bevor ich mich am Donnerstagabend auf den Weg zum Bahnhof machte, um rechtzeitig vor dem Beginn des Generalstreiks in Belgien nach Hause zu kommen, suchte ich noch schnell einen traditionellen britischen Tuchhändler wegen eventueller Mitbringsel auf. Mit der Verkäuferin, einer distinguierten Dame mittleren Alters, kam ich rasch ins Gespräch, es ging natürlich um die Causa prima, das Referendum. Sie outete sich als Befürworterin des Brexit: Sie wolle nicht, dass ihr Land von Türken überschwemmt werde. Ich versuchte zu erklären, dass die Türkei keineswegs morgen der EU beitreten werde, doch sie blieb skeptisch, woraufhin ich ihr von einer Gartenparty erzählte, bei der ich am Vorabend zu Gast war. Alle Anwesenden, mit denen ich gesprochen hatte, wollten für den Verbleib in der EU stimmen. Die Dame fragte mich, in welchem Viertel die Party denn stattgefunden habe. In Chelsea, antwortete ich. Dann waren die Gastgeber wohl vermögend, fragte sie. Ich bejahte und erzählte ihr von dem Salvador Dalí, den ich im Salon hängen sah. Sie dachte kurz nach, dann sagte sie Folgendes zu mir: „Die reichen Leute, sie sind nicht wie wir.“

Nachdem es in dieser Kolumne unpolitisch zugehen soll, möchte ich nicht über den Brexit und seine Folgen schreiben – auf den vorderen Seiten finden Sie mehr als genug zum Thema. Doch der letzte Satz der Verkäuferin lässt mich nicht los, denn er offenbart, wie unermesslich tief die Kluft ist, die quer durch Gesellschaften verläuft.

Wenn in Großbritannien eine Hälfte der Menschen der Überzeugung ist, die andere Hälfte sei von einem anderen Stern, haben nicht nur die Briten, sondern wir alle ein ernsthaftes Problem. Und wir haben auch ein Problem mit jenen jungen Menschen, die nicht zur Wahl gehen, und dann glauben, Demokratie sei wie ein Computerspiel, das man neu starten könne, wenn einem das Ergebnis nicht gefällt. Ich fürchte, wir gehen interessanten Zeiten entgegen.

E-Mails an: michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2016)

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