Pokémon für Arme

A man plays the augmented reality mobile game 'Pokemon Go' by Nintendo in front of a shop selling Pokemon goods in Tokyo
A man plays the augmented reality mobile game 'Pokemon Go' by Nintendo in front of a shop selling Pokemon goods in TokyoREUTERS
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Ich muss gestehen: Es würde mich schon reizen. Dieses „Pokémon Go“ meine ich.

Offiziell und pro forma stehe ich natürlich über diesem kindischen virtuellen Monsterjagen. Ich hätte sogar einen guten Vorwand, um das Spiel runterzuladen: Das Kind, das das unbedingt ausprobieren will. (Es gibt ja die These, wonach viele Leute Kinder bekommen, um ihre eigene Kindheit noch einmal zu durchleben. Wenn man sich ansieht, mit welcher Hingabe manche Eltern Staudämme auf Wasserspielplätzen errichten oder im neuen Lego-Katalog versinken, spricht das zumindest nicht gegen diese Theorie.)

Bloß: Das Kind ist noch zu klein, bekommt von Pikachu und Co. gar nichts mit, und das ist natürlich gut so. Außerdem spielen wir irgendwie sowieso unsere eigene Variante von „Pokémon Go“. Eine sehr, sehr analoge Variante. Wir fangen nämlich unsere eigenen Schattentiere, jeden Morgen auf dem Weg zur U-Bahn. Wenn die Sonne scheint, formt das Kind mit den Händen verschiedene Tiere und läuft ihnen, also dem Schatten der eigenen Hände, hinterher. Manchmal darf (oder muss, Ansichtssache) ich mitspielen und auch mit erhobenen Armen irgendwelche Figuren formen. (Dass die anderen Fußgänger mich dabei viel erstaunter anschauen als wenn ich ein Handy in die Gegend halten und Computertierchen fangen würde, sagt viel über unsere Zeit aus, finde ich.) Ein großer Unterschied zum echten „Pokémon Go“ besteht darin, dass die Regeln unserer Schattenjagd nicht von einem internationalen Konzern festgelegt werden, sondern von einem sechsjährigen Kind, das diese sehr flexibel handhabt. Forme ich mit den Fingern einen Fuchs, der den Schattenhasen des Kindes jagen will, gilt plötzlich die Regel: „Es gibt im Spiel keine Füchse.“ Noch ehe ich etwas erwidern kann, legt das Kind nach: „Und keine Wölfe. Und keine Hunde.“

Ja, es ist ein ganz eigenes Spiel. Dafür besteht keine Suchtgefahr: Es endet täglich bei der U4-Station. Und der Akku geht uns auch nie aus. Wer braucht also schon „Pokémon Go“, das ich auf meinem blöden Handy mangels Speicherplatzes eh nicht downloaden könnte. Glaube ich. Ausprobiert habe ich es nicht. Wo denken Sie hin!

E-Mails an: mirjam.marits@diepresse.com

(Print-Ausgabe, 23.07.2016)

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