Wo sich Fuchs und Mensch Gute Nacht sagen

Großtadtdschungel
Großtadtdschungel (c) APA/dpa/Jörg Carstensen
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Unterhalb des Plattenbaus, in dem ich lebe, hat sich vor einiger Zeit eine Fuchsfamilie einquartiert.

Die Sippe wurde von Jahr zu Jahr größer, und der heurige Wurf dürfte rekordverdächtig gewesen sein. Ich weiß das so genau, nicht weil ich ein Hobbyzoologe bin, sondern weil die Jungfüchse die lauen Brüsseler Sommerabende auf der Wiese direkt vor meinem Balkon verbringen. Sie sind wohlgenährt und zu sechst. Sie drehen ihre Kreise im Gras und schauen immer wieder hinauf – weil sie gelernt haben, dass hier Essen vom Himmel fällt. Einige meiner Nachbarn verwerten auf diese Art ihre Lebensmittelreste. Als sich vor Jahren die ersten zwei Füchse auf die Wiese gewagt haben, sind sie noch sehr schreckhaft gewesen und jedesmal davongelaufen, wenn etwas auf den Boden geprallt ist. Mittlerweile sind sie stoisch geworden – und auch wählerisch, denn mit einem Stück reifer Banane kann man sie nicht mehr ködern. Sie sind Besseres gewohnt.

Das Manna vom Himmel dürfte allerdings auch nicht reichen. Ich befürchte, dass die Wildkaninchen im unweit gelegenen Park ein Kollateralschaden der füchsischen Expansion geworden sind – ich habe sie nämlich seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen. Auch die Gänsefamilie im Park ist Kummer gewohnt, denn die Zahl der Junggänse hat sich in den vergangenen Monaten von acht auf vier halbiert. Wirklich sicher sind nur die Haustiere: Vor Hunden haben die Füchse Respekt, Katzen lassen sie in Ruhe.

Mittlerweile ist die Fauna im Viertel weit über dessen Grenzen bekannt. Mein Block steht am Ende einer kleinen Sackgasse, die kein Taxifahrer kennt, weshalb ich vor Jahren dazu übergegangen bin, meinen Heimweg anhand von Merkmalen (Kreisverkehr, Metrostation usw.) zu erklären. Als ich nach dem jüngsten EU-Gipfel ins Taxi stieg und begann, die Route vom Europaviertel zu mir nach Hause zu beschreiben, unterbrach mich der Fahrer und fragte: „Ist es dort, wo die Füchse leben?“ Daheim ist, wo sich Fuchs und Mensch Gute Nacht sagen.

E-Mails an:michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2016)

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