Lueger: Wenn Vergangenheit nicht ist, was sie einmal war

Verschämt im Winkerl: Lueger-Denkmal, kontextualisiert.
Verschämt im Winkerl: Lueger-Denkmal, kontextualisiert. Wolfgang Freitag
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Nun ist also endlich das geschehen, worauf die Menschheit an sich und die Wiener Menschheit im Besonderen so lang gehofft hat.

Seit ein paar Wochen ist auch das Lueger-Denkmal mit einer Zusatztafel zu Wesen – respektive Unwesen – des Jahrhundertwende-Bürgermeisters versehen. „Kontextualisierung“ nennt man das, und die hiesige Technische Universität schritt ja schon einiges davor mit einer Beamtshandlung der Lueger-Gedenktafel an ihrer rechten Resselpark-Front voran – nachdem der universitäre Versuch (so behaupteten böse Zungen), das ruchlose Stück Stein klammheimlich übermalen zu lassen, doch noch aufgeflogen war.

Naturgemäß ist es eine Sache, ein in die Fassade eingelassenes Schild kontextualisierungsmäßig zu versorgen, eine ganz andere, dasselbe bei einem übermannsgroßen Bronzestandbild samt monumentalem Sockel zu versuchen. Den Gegenstand ursprünglichen Gedenkens hinter den neuen Bedenken schlicht verschwinden zu lassen (wie an der TU geschehen) steht bei einem Denkmaltrumm von Lueger-Platz-Ausmaßen nicht zu Gebot. Auffallend nur, wie verschämt sich die städtischen Aufklärungsavancen ins letzte linksseitige Denkmalwinkerl drücken, als wäre ihnen die ganze Sache ein bisserl peinlich.

Sublime Geschichtsdifferenzierung fördert ein Vergleich der Kontextualisierungstexte zutage. Hat Lueger am Karlsplatz 13 „den Antisemitismus virtuos als Instrument eingesetzt“, so wurde er nächst dem Stadtpark nur „zunehmend von populistischem Antisemitismus beeinflusst“. Hat er da „zur Entwicklung eines aggressiven gesellschaftlichen Klimas und zur Verrohung der politischen Sprache beigetragen“, so verstärkte er hier bloß „den antisemitischen und nationalistischen Trend seiner Zeit“. Kurz: Zeichnet man ihn an der TU-Fassade als Treibenden, wird er uns im Schatten des eigenen Denkmals eher als Getriebener vorgestellt.

Pessimisten klagen, nicht einmal mehr die Vergangenheit sei noch das, was sie einmal war. Optimisten wissen, sie wird auch morgen nicht sein, was sie heute ist.

E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

(Print-Ausgabe, 27.07.2016)

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