Das Loch in einer Straße und die Wiener Stadterweiterung

Eine Ahnung von k. u. k.: Prandaugasse 60, Donaustadt.
Eine Ahnung von k. u. k.: Prandaugasse 60, Donaustadt.(c) Freitag
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Die Prandaugasse hat ein Loch. Das, mag man einwerfen, sei nichts Besonderes angesichts des Zustands mancher Straßenbeläge zu Wien.

Die Prandaugasse hat ein Loch. Das, mag man einwerfen, sei nichts Besonderes angesichts des Zustands mancher Straßenbeläge zu Wien. Das Loch der Prandaugasse allerdings, unweit der U1-Station Kagran, ist keineswegs straßenbelagsoberflächlicher Natur, sondern eines, das geeignet ist, die Identität eines Straßenzugs bis ins Innerste zu erschüttern. Was wäre das für eine Straße, die scheinbar endet – und dann doch, freilich gut 50 Meter Richtung Südwesten versetzt, eine Fortsetzung findet?

Und was erst soll uns die Hausnummerierung sagen? Folgt man dem Stadtplan, kommt Prandaugasse 2 zwischen Prandaugasse 160 und Prandaugasse 268 zu liegen, Prandaugasse 3 wiederum zwischen Prandaugasse 299 und Prandaugasse 984, und dass solcher Zahlenzauber sich in der Ort-und-Stellen-Wirklichkeit nicht wiederfindet, macht das Mysterium noch ein Stück mysteriöser. Abgesehen davon, dass Hausnummer 984 in einer Straße, die insgesamt knapp 700 Meter lang ist, doch etwas übertrieben scheint.

Immerhin, was in der Prandaugassen-Wirklichkeit wohl am längsten wirklich war, lässt sich leicht erkennen: das Haus Nummer 60, das hier als einziges noch eine Ahnung von k. u. k. an sich trägt. Jahrzehntelang stand es einsam mitten in den Äckern, was ihm unter alten Kagranern die Bezeichnung Luftballonhaus eintrug. Dabei war es nichts weiter als Vorbote dessen, was eigentlich nächstens folgen sollte: Schließlich zeigt sich das Gebiet zwischen Floridsdorf und Wagramer Straße schon im Generalstadtplan von 1912 mit einem Straßenraster überzogen, Prandaugasse inklusive, der von naher Verbauung kündet. Doch der Erste Weltkrieg kam, das Haus Prandaugasse 60 blieb allein, Ahnherr einer Stadterweiterung, die erst Jahrzehnte später folgte – und die Prandaugasse in Stücke brach. Das Donaufeld, nördlich anschließend, wartet noch darauf, dass geschieht, was vor 100 Jahren schon hätte geschehen können. Ob wir 100 Jahre klüger geworden sind, wird dort demnächst zu sehen sein.

E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2016)

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