Gesinnungsethik und Verantwortungsethik

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Dass der Titel der heutigen Kolumne derart sperrig daherkommt, hat zwei Gründe.

Erstens sind mir die beiden obigen Begriffe relativ neu, und sie sind zweitens wichtiger, als es zunächst vielleicht den Anschein haben könnte. Im echten Leben hörte ich von der Gesinnungsethik zum ersten Mal vergangene Woche bei einem Tischgespräch über Europapolitik. Meine Tischpartner stammten allesamt aus Deutschland, wo es offenbar völlig normal ist, derartiges Fachvokabular zu verwenden, wie ich in der Zwischenzeit herausgefunden habe. Wie dem auch sei: Bei der Unterhaltung ging es darum, ob Politiker ihre ideologischen Überzeugungen zum einzigen Maßstab ihres Handelns machen sollen, oder ob sie sich auch danach richten sollen, was realistisch und umsetzbar ist. Ein Gesinnungsethiker ist prinzipientreu, ohne Rücksicht auf Verluste, ein Verantwortungsethiker versucht, das Beste aus der vorhandenen Situation zu machen. Am Tisch tendierte man eher zur zweiten Haltung, ich saß still und freute mich darüber, wieder etwas Neues dazugelernt zu haben.

Tags darauf, als ich nochmals über diese beiden Begriffe nachdachte, kam mir der Gedanke, dass unser Zusammenleben problematischer wird, je mehr Gesinnungsethiker unter uns weilen. Nehmen wir den Brexit: Es war ein gesinnungsethischer Meisterstreich der britischen Europafeinde, den jetzt die Verantwortungsethiker in den Regierungskanzleien auszubaden haben. Auch die teils wütenden Proteste gegen das Freihandelsabkommen mit Kanada haben viel mit (meiner Ansicht nach falsch verstandener) Gesinnung und wenig mit Verantwortung zu tun. Übrigens habe ich diese Zeilen bereits in der vergangenen Woche verfasst. Heute habe ich nämlich frei, und ich wollte nicht, dass die Kollegen in der Redaktion fieberhaft nach Ersatz suchen müssen. Dass ich diesmal wieder dran bin, fiel mir kurz vor der Abfahrt zum Flughafen ein, woraufhin ich zum Schreibtisch zurücklief und den Rechner wieder anwarf. Ich finde, es war sehr verantwortungsethisch von mir.

E-Mails an:michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2016)

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