Politikerbiografien sind Nervengift

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Jedes Schriftl, weiß der Jurist, ist ein Giftl, und man möchte den gegnerischen Faktenprüfern nichts Angriffiges hinterlassen.

Vor 13 Jahren kam Hillary Clintons erster Memoirenband „Living History“ heraus, seit damals steht er ungelesen in meinem Bücherregal, zuerst in Brüssel, dann in Wien, dann wieder in Brüssel, nun in Washington. „Hard Choices“, der vor zwei Jahren erschienene zweite Band des Clinton'schen Lebensberichts, ist weniger weit gereist, aber genauso ungelesen. Ich habe mir schon vor mehr als einem Jahr im Zug der Vorbereitung auf die amerikanische Präsidentschaftswahl vorgenommen, diese beiden Ziegel zu lesen, doch schon nach wenigen Seiten musste ich aufgeben. Das Problem liegt nicht daran, dass die möglicherweise erste Frau an der Spitze des Washingtoner Machtapparates nichts Interessantes zu erzählen hätte. Clintons Memoiren leiden viel mehr daran, dass sie von Komitees an Beratern und Assistenten zur absoluten Unlesbarkeit entschärft wurden. Das liegt in der Natur solcher Veröffentlichungen von Politikern, die noch etwas werden wollen. Jedes Schriftl, weiß der Jurist, ist ein Giftl, und man möchte den gegnerischen Faktenprüfern nichts Angriffiges hinterlassen.

Aber was ist mit Donald Trump, fragen Sie? Nun, wie allgemein bekannt ist, lässt Trump schreiben (eher: dichten), statt selbst in die Tasten zu hauen. Welche Einsichten soll man also von dieser Lektüre erwarten?
Politikerbiografien sind, finde ich, nur in vermittelter Form genießbar, also als Primärquellen für unabhängige, kritische Biografen. Das Interessanteste, Erhellendste an ihnen ist nämlich meist das Ungesagte.

Eine Ausnahme muss ich allerdings machen. Posthume Veröffentlichungen von Tagebüchern und privatem Briefwechsel geben faszinierende Einblicke in das Denken von Politikern – ob Goebbels Tagebücher oder Mitterrands Liebesbriefe an Anne Pingeot. Doch in dieser Hinsicht, fürchte ich, werden uns Clinton und Trump enttäuschen: Ihre elektronische Korrespondenz ist dank FBI-Ermittlungen ohnehin großteils aller Welt bekannt. Und die privatesten Gedanken darf man täglich von der digitalen Schaumsuppe Twitter abschöpfen.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2016)

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