Woodrow und Barack

(c) REUTERS (JONATHAN ERNST)
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Drei Wochen noch, dann erwacht Präsident Barack Obama zum letzten Mal an der Adresse 1600 Pennsylvania Avenue NW.

Danach (oder nach einem ausgedehnten Urlaub) wird sich Obama mit seiner Frau Michelle und der jüngeren Tochter Sasha im Washingtoner Diplomatenviertel Kalorama niederlassen, zumindest so lang, bis Sasha ihre Schulausbildung abgeschlossen hat (die ältere Tochter Malia beginnt demnächst ihre Studien in Harvard). Einen zehnminütigen Spaziergang von seiner neuen Adresse, 2446 Belmont Road NW, entfernt befindet sich der letzte Wohnort des anderen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten (oder belasteten) US-Präsidenten, Woodrow Wilson. 1921 zog er an der Adresse 2340 S Street NW ein. Anders als Obama kaufte er das recht hübsche, im neugeorgianischen Stil erbaute Haus: Es war klar, dass dieser Adresse keine weitere mehr folgen sollte. Nur drei Jahre sollte Wilson noch leben, schwer von jenem Schlaganfall am 2. Oktober 1919 gezeichnet, der ihn für das letzte Jahr seiner Präsidentschaft den Augen der Öffentlichkeit entzog.

Bei einem Besuch des kleinen, liebevoll erhaltenen Museums in Wilsons letztem Haus, fragte ich mich jüngst wieder einmal, angesichts der Sammlung an Gehstöcken, die ihm von Gästen als Geschenke dargebracht worden waren, was der Welt wohl erspart geblieben wäre, hätte die Krankheit Wilson nicht niedergestreckt und sein Werben für den Völkerbund jäh unterbrochen. Der gelähmte Präsident im Krankenbett musste ansehen, wie der Senat ihm 1920 die Zustimmung zum Vertrag zur Gründung des Völkerbundes verweigerte. Was wäre gewesen, hätte das jugendlich-kraftvolle Amerika die Führung dessen übernommen, was man heute „internationale Staatengemeinschaft“ nennt? Hätte ein im Leben gescheiterter Gefreiter aus Braunau nur 20 Jahre später den zweiten Weltenbrand entzünden können?

Wir wissen es nicht. Wir wissen auch nicht, was Obama mit dem Rest seiner Lebenszeit machen wird. Wilson und Obama, zwei brillante Hochschulprofessoren mit edlen, nobelpreiswürdigen Plänen, die an der Welt scheiterten: in Kalorama kreuzen sich ihre Wege.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

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