Die Verbrennung der Welt

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Die Erinnerungen eines ungarischen Malers an das erste Weltkriegsjahr 1914 sind gespenstisch zeitgemäß.

Der Sommerstrand von Novi Vinodolski, zwei Dutzend Badegäste, von der adriatischen Sonne braun gebrannt. In der ersten Reihe ein fescher 29-jähriger Budapester Maler und Illustrator namens Béla Zombory-Moldován. In einem Eck des Bildes, vom Fotografen vermerkt, das Datum: 25. Juli 1914. Drei Tage später Kriegserklärung, das Ende der Welt, wie sie die fröhliche österreichisch-ungarische Badegesellschaft kannte. Zombory-Moldován fand sich wenige Wochen später als Infanterieleutnant in Ostgalizien, wo er bei der Schlacht von Rawa Ruska in russischem Artilleriebeschuss eine schwere Kopfverletzung erlitt und nur wie durch ein Wunder überlebte (später sollte er die Krönungszeremonie von Kaiser Karl mitinszenieren). Viel später, nach einer erfolgreichen Zwischenkriegskarriere als Porträtist und Leiter einer Kunstschule in Budapest, die von den Kommunisten 1946 brutal beendet wurde, schrieb er seine Erinnerungen an dieses erste Kriegsjahr nieder. Sein Enkel, der Londoner Anwalt Peter Zombory-Moldovan, fand dieses Manuskript vor einigen Jahren in einer Kiste der Großmutter und dachte sich: Das muss die Welt lesen. 2014 brachte die „New York Review of Books“ seine Übersetzung unter dem Titel „The Burning of the World: A Memoir of 1914“ heraus: Es ist ein Juwel. Zombory-Moldován war, wie sein Enkel sich erinnert, „ein lebenslanger Konservativer des Temperaments, ein Liebhaber alter, gut getragener Dinge“. Aber er war auch ein Gegner des Rechtsrucks unter dem Horthy-Regime, er lehnte die Einladung zu dessen nationalistischem Orden Vitézi Rend ab und rettete 1944 eine jüdische Familie. „Das war das 20. Jahrhundert“, fuhr es ihm durch den Kopf, als er an einer Badekabine von Novi Vinodolski von der Mobilmachung las. „Europa im Gleichgewicht von Aufklärung und demokratischem Humanismus. Es schien unmöglich, dass ein Disput durch Kampf entschieden werden sollte.“ Ein paar Seiten später, im Geschützhagel von Rawa Ruska, die Ernüchterung: „Die Begrüßungen endeten. Die Kanonen nahmen ihren Platz ein. So kündigte sich die Verbrennung der Welt an.“

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2017)

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