Fürchtet das Tauwetter!

(c) Clemens Fabry
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Der Schnee deckt alles zu - und dann? Warum uns der Fluch der bösen Stadtplanungstat stets einholt.

Der Schnee ist ja ein gnädiger Geselle. Kaum fällt er einmal nieder, schon hat er alles Städtische in weiße Wohltat eingehüllt, und ein Hauch von Poesie adelt noch das hässlichste Wiener Parkbankmodell, Sie wissen schon, dieses gewisse auf zwei Beinen, das aus jenen mittlerweile fernen Tagen in unsere Welt gekommen scheint, in denen „quadratisch, praktisch, gut“ nicht nur in Sachen Schokolade, auch im Ästhetischen als nennenswerter Vorzug galt.

Was alles würden wir am liebsten unter einer Decke aus ewigem Flockenweiß verschwinden sehen! Manche Dachausbauten, wie sie hiesige Gründerzeitquartiere bis zur Unkenntlichkeit überwuchern. Ganz gewiss das gegenwärtige Entree des Praters samt dem wirren Ensemble, das sich gleich nebenan am Praterstern ausbreitet. Vielleicht den neuen Wiener Hauptbahnhof, den einzigen, der keine Züge braucht, um zugig wie kein anderer zu sein. Nicht zu vergessen jene megalomanen Bauvorhaben dieser Tage, die, hochfliegend bloß den Etagen nach, einzig von den finanziellen Interessen ihrer Betreiber künden – und vom Darniederliegen hiesiger Stadtplanungsverantwortlichkeit.

Was hilft's? Wir wissen: Das nächste Tauwetter kommt bestimmt. Und in Zeiten allenthalben beschworener Erderwärmung bleibt uns wenig Grund zu hoffen, selbst die dickste Schneedecke könnte von Dauer sein. Immerhin, dann und wann dürfen wir das, was nicht mehr zu ändern ist, wenigstens kraft unserer Vorstellung für kurze Frist schneemäßig wegimaginieren. Um vielleicht umso nachhaltiger gegen jenes aufzustehen, was sich gerade noch verhindern lässt. Sind erst all die Investoreninteressen, die uns gegenwärtig an Planungs statt drangsalieren, wider jede Stadtplanungsvernunft Beton, Stahl und Glas geworden, dann nämlich ist es zu spät. Und unser Traum von einem Stadtbild, wie wir es nur allzu gern hätten, der ist ausgeträumt – zerflossen wie der Schnee vom vergangenen Jahr.

E-Mails an:wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2017)

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