Der kleine Stein zwischen Tür und Fliesenboden

Streusplitt
Streusplitt(c) Teresa Zoetl
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Das winterliche akustische Äquivalent zur surrenden Gelse im sommerlichen Schlafzimmer.

Denken wir an eine Sommernacht. An den ohnehin schon unruhigen Schlaf. Und da ist auf einmal dieses Geräusch, dieses Surren. Eine Gelse, die ihre Runden scheinbar genau um das Ohr dreht. Doch so präsent das Tier akustisch auch ist, sobald das Licht an ist und das Gelsenhalali ertönt, ist es weg. Nur, um beim nächsten Einschlafversuch wieder hochtourig um das Ohr zu kreisen. Stich doch endlich zu, aber dann sei wenigstens leise, was ist schon das bisschen Jucken am Tag danach gegen diese Kakofonie der Sommernacht.

Auch der Winter kennt ein akustisches Äquivalent zu diesen Quälgeistern. Dieses Stückchen Streusplitt nämlich, das über die Schuhsohle irgendwie den Weg in die Wohnung gefunden hat. Selbst wenn man die Schuhe zehn Minuten lang über die Türmatte streifen lässt, irgendwie schlüpft es doch durch. Und taucht dann genau beim Schließen der Eingangstür auf. Als Knarzen, wenn es sich zwischen Türkante und Fliesenboden verkeilt. Ist es erst einmal da, verhält es sich wie eine Gelse. Man sieht es nicht, kann es nicht erschlagen. Man hört es nur, in welche Richtung man die Tür auch bewegt. Und spürt, wie das kleine Stück wie ein Diamant eine Furche in den Fliesenboden ritzt. Der Karton, mit dem man unter die Türe fährt, bleibt irgendwo stecken. Das Steinchen kratzt weiter. Irgendwann versucht man, die Türe ein wenig aus den Angeln zu heben. Zieht ungeschickt mit dem Fuß ein Tuch unter der Türkante durch. Und auf einmal ist es weg, das Kratzen. Das Steinchen wohl auch. Nur, dass man es nirgendwo findet, um es aufheben und wegwerfen zu können. Vermutlich versteckt es sich in einer Ecke und wartet nur darauf, bald wieder zuschlagen zu können. Am nächsten Morgen, vermutlich, wenn man es gerade besonders eilig hat – und die Tür nicht zu bekommt. Na gut, zumindest in der Nacht hat der Quälgeist Ruhe gegeben.

E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

(Print-Ausgabe, 06.02.2017)

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