Zwischen 1990er-Beton und Allerwelts-Gründerzeit

Wiener Mischmasch: Hainburger Straße, Ecke Apostelgasse.
Wiener Mischmasch: Hainburger Straße, Ecke Apostelgasse.(c) Wolfgang Freitag
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Trübselig? Anmerkungen zum urban Normalen anlässlich eines Blicks aus dem Redaktionsfenster.

Manchmal wird man von seinen eigenen Gedanken überholt. Als mir Anfang dieser Woche ein Kollege von einem Text erzählte, für den ihm nur die rechte Illustration fehle, „irgendetwas Trübseliges“ sollte es sein, kam mir ohne jedes Zögern als angemessen trübselig in den Sinn, was sich mir tagtäglich vor meinem Redaktionsfenster offenbart.

Das mag auch an der in jenen Minuten herrschenden Witterung gelegen sein. Doch „irgendetwas Trübseliges“ wäre ihr sogar bei strahlendem Sonnenschein spontan kaum abzusprechen, dieser merkwürdigen Kollision diverser Mittelmäßigkeiten unterschiedlicher Bauepochen, die da vor meinem Fenster aufeinanderprallen. Links ein Laufmeter-Schulgebäude des ausgehenden 19. Jahrhunderts, immerhin respektabel instand gesetzt. Dann ein weiteres Stück Allerwelts-Gründerzeit, auf dem irgendwann in der jüngeren Vergangenheit ein kantiges Dachgeschoß-UFO gelandet ist. Rechts wiederum der in den Straßenraum ragende Keil des Wohnparks Erdberg, aus den 1990ern datierend und in seinem Hofinneren deutlich leichter zu ertragen als an seinen Straßenfronten. Nein, nicht nur bei nasskaltem Regenwetter mag mancher diesen Mischmasch des Durchschnittlichen „trübselig“ finden, bei dem jedes Einzelne nicht zu wissen scheint, wie es zu dem jeweils anderen kommt.

Andererseits: Würde das Ensemble wirklich profitieren, wäre alles Gründerzeit, alles 1990er-Beton, alles Metall-und-Glas-Bemühung? Gerade dort, wo nicht eben das Außerordentliche zu Hause ist, im Normalfall des Mediokren, nützt der Stadt ein Zusammenklang des Unterschiedlichen. Das mag sich nicht immer und nicht in allen Ohren nach Harmonie anhören. Ein noch so disparates Ganzes hat freilich jedem Gleichförmigen, aus welchen Zeiten immer, etwas Wichtiges voraus – es regt mehr an. Und manchmal halt auch auf.

E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2017)

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