Holt Leute nicht immer dort ab, wo sie gerade stehen

Man sollte Menschen auch dazu bewegen, sich zu bewegen. Sonst gibt es nie einen Schritt nach vorn.

Es gibt Gespräche, nach denen man das Gefühl hat, ein bisschen klüger geworden zu sein, als man zuvor war. Wenn etwa eine Phrase, die man zuvor brav nachgeplappert oder zumindest geistig abgenickt hat, dabei in ihre Einzelteile zerlegt und danach nicht mehr zusammenbaut, sondern im sprachlichen Sondermüll entsorgt. Zum Beispiel die, dass man die Menschen dort abholen soll, wo sie stehen. Klingt doch nicht schlecht, der Satz, oder? Aber denken wir ihn doch ein Stück weiter, wie es eine befreundete Lehrerin in genau einem solchen Gespräch gemacht hat. In der Bildung, zum Beispiel, bedeutet dieser Satz Stillstand. Man soll, meinte sie, die Kinder und Jugendlichen ruhig dazu bewegen, sich zu bewegen. Auch den einen oder anderen Schritt mehr zu machen, um auf Dinge zu stoßen, von denen sie vorher nicht einmal wussten, dass es sie gibt. Ja, das kann auch manchmal unbequem sein – und das soll es auch. Denn dann bringt es auch etwas, nämlich einen Fortschritt im Denken, im Wissen und im Tun.

Aber auch abseits der Schule könnte man sich von diesem scheinbaren Zwang zur Abholgenauigkeit ein wenig lösen. Indem man Menschen nicht einfach immer nur das vorbetet, von dem man meint, dass sie es hören wollen. Denn damit landet man schnell beim Hätscheln einer bequem gewordenen Gesellschaft, der es schon an Bewegung reicht, mit dem Daumen nach unten zu deuten. Was übrigens vor allem dann passiert, wenn es um andere geht. Sollen die sich doch bewegen, am besten dorthin, wo man sie nicht mehr im Sichtfeld hat.

Einigen wir uns also darauf, dass das mit dem Abholen, wo die Leute stehen, keine so gute Idee ist . . . außer vielleicht für die ÖBB oder die Wiener Linien. Bei denen hat sich das Konzept mit den Haltestellen gar nicht so schlecht bewährt. Jetzt müsste der Bus nur endlich auch hier vorbeikommen, es wird nämlich langsam kalt.

E-Mails an:erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2017)

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