Stadt

Donaucity Wien
Donaucity Wien(c) Clemens Fabry
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Ich bin ein Kind Vorarlbergs, deswegen passiert es sehr oft, dass ich Wien mit Al Capones Chicago vergleiche, obwohl ich damals nicht gelebt habe und Wien im internationalen Vergleich eigentlich auch eher als Grillparty im Garten daherkommt.

Aber bei uns in Vorarlberg, da laufen manche Dinge noch ein bisschen anders. Mies gelaunte Verkäufer trifft man höchst selten an, so auch ignorante Kellner und selbstgefällige Bezirkshauptmannschaftsmitarbeiter. In meiner Jugend haben die obligatorischen Bahnhofkids schön gegrüßt, bevor sie einer kriminellen Aktion nachgegangen sind, etwa Dosen zerquetschen und auf die Straße werfen. Ein paar Jahre später haben dieselben Jugendlichen bei der Bregenzer Festspielbühne gekifft, ich glaube, einer ist sogar erwischt worden.

Wir hatten einmal vor vielen Jahren Hochwasser, da haben Helfer mühevoll Stelzen aufgestellt, wie in Venedig, und jemand bei uns im Dorf hat eine der Stelzen zerstört. Dieser Fall dürfte bis heute ungelöst sein.

Bregenz ist zwar eine Stadt, aber es gibt Stadt und es gibt Stadt. London ist zum Beispiel Stadt im städtischen Sinne. Man hat Straßenschluchten und schlechte Luft, man betritt ein öffentliches Verkehrsmittel als Mensch und kommt als Picasso-Zeichnung wieder raus. Im Bregenzerwald passiert dir das nicht, da sitzt du zehn Stationen lang allein im Bus, und dann steigt einer deiner Verwandten ein.

Die Städte haben die seltsame Eigenheit, die Bewohner ihrem eigenen Charakter anzupassen. Weil sich in London jeder für jede Bewegung entschuldigt, erreicht man auch einen Zustand des ständigen Verzeihens: Sorry, dass ich dich angerempelt habe! Sorry, dass ich beim Vorbeigehen beinahe deine Handtasche gestreift hätte! In Istanbul hingegen ist alles ein bisschen improvisiert, eine Art sympathische Unordnung. In Wien beginnt man naturgemäß nach der zweiten Kassa zu schreien, selbst dann, wenn man genug Zeit hat. In Berlin kommt man sich automatisch jung und hip vor. Und wenn man so ziemlich das Gegenteil von hip ist, ist man erst recht hip.

E-Mails an:duygu.oezkan@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2017)

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