Nicht alle Erinnerungen sind so scharf wie die aus Paprika

Altehrwürdiges Werbegut: Nußdorfer Straße 90.
Altehrwürdiges Werbegut: Nußdorfer Straße 90. (c) Wolfgang Freitag
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Nußdorfer Straße: Was der Abriss eines Finanzamtes ans Alsergrunder Tageslicht gebracht hat.

Das Vergangene sei nie tot, es sei nicht einmal vergangen, sagen kluge Leute gern, wenn's ums Erinnern und Vergessen geht, und vergessen ihrerseits auffallend häufig, daran zu erinnern, wem sie die weise Wendung zu danken haben: einem gewissen William Faulkner nämlich, Literaturnobelpreisträger und unstreitig größter Romancier der Südstaaten-USA. Tatsache ist jedenfalls, dass die Erinnerung uns auch sonst des Öfteren trügt – und dass es uns gleichfalls des Öfteren nicht eben fröhlich stimmt, an das nicht mehr Erinnerliche wieder erinnert zu werden.

Ganz anders jener Erinnerungsfall, von dem hier zu berichten ist. Da hat man, etliche Monate ist es her, ein starkes Stück hiesigen Siebzigerjahre-Bürokratie-Betons abgerissen, vormals Finanzamt an der Adresse Nußdorfer Straße 90, und siehe, an der Feuermauer eines angrenzenden Hauses kam, längst vergessen, eine wandhohe Reklamemalerei von ehedem ans Alsergrunder Tageslicht, die in prächtigsten Farben die Würzkraft eines noch immer zum kulinarischen Gemeingut zählenden Paprikafabrikates pries. Und war dem Gebäude, das es jahrzehntelang verdeckt hatte, bis dahin nicht allzu viel Gutes nachzusagen gewesen, so konnte es im Augenblick seiner Zerstörung immerhin für sich in Anspruch nehmen, die Werbepracht aus den frühen Sechzigern vor Wind, Wetter und Unbill sonstiger Art geschützt zu haben.

Schon freilich wachsen wieder Geschoße in die Höhe, die Paprikapreisung Stück für Stück verdeckend, nicht lang, und es wird nichts mehr davon zu sehen sein. Was immer sich dann an der Nußdorfer Straße 90 findet: Zumindest als Schutz für altehrwürdiges Werbegut werden wir's willkommen heißen. Und wer's versäumt hat und nicht bis zum nächsten Abriss warten kann: Für den Band „Ghostletters Vienna“ (Falter Verlag) hat man es samt weiteren Fundstücken ähnlicher Art dokumentiert.

E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2017)

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