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Die Zuagrasten und der Geruch von Wien

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Stadtbild(c) Wolfgang Freitag
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Über Rosskastanien, Flieder, "Bio-Invasoren" und darüber, was es heißt, urwienerisch zu sein.

Im Prater blühn wieder die Bäume“: Das taten sie schon 1916, als ein heute weithin vergessener gebürtiger Prager, Kurt Robitschek, diesen Text zu einer Melodie von Robert Stolz lieferte; das tun sie auch heuer wieder, bald 30 Jahre, nachdem die für die Robitschek'schen Praterbäume, die Rosskastanien nämlich, so fatale Kastanienminiermotte Österreich erreicht hat.

Deren Larven drangsalieren die hiesigen Rosskastanienbestände seither mit bedauerlicher Verlässlichkeit, doch immerhin haben wir mittlerweile halbwegs mit der flatterhaften Lästigkeit zu leben gelernt: Kundige Gärtner schaufeln jeden Herbst das Rosskastanienlaub aus Parkanlagen und von Straßenrändern (eine der wenigen tauglichen Maßnahmen gegen den Befall), und zumindest in Wien hat man sich darauf verständigt, nur mehr Bestände von historischem Wert, etwa die in der Hauptallee, im Fall des Ausfalles artgleich nachzusetzen. Die allerdings aus gutem Grund: Schließlich zählt die Rosskastanie zu den quasi konstitutiven Merkmalen Wiens, und das keineswegs nur (siehe oben) im hiesigen Liedgut oder wegen ihres spektakulären Frühlingskleids, sondern – und gemeinsam mit dem Flieder – auch des Geruchs wegen. So wollen Studien Rosskastanie und Flieder als typisch Wiener Düfte erkannt haben. Wozu passt, dass auch der Flieder, jedenfalls der „draußen in Sievering“, längst höhere Liedweihen, noch dazu aus der Feder von Johann Strauss, erfahren hat.

Botanisch haben die beiden übrigens nicht viel gemein. Es sei denn, dass sie beide, heute als urwienerisch wahrgenommen, nichts weniger als urwienerisch sind: Neophyten nämlich, also zuagrast wie etliches anderes, was sich gegenwärtig unter dem Stichwort „Bio-Invasoren“ in eine Art biologische Ausländer-raus-Debatte verstrickt findet. Wer wir sind und wer die anderen, ist halt offenbar auch floral nicht zuletzt eine Frage der Zeit.

E-Mails an:wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2017)

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