Mein Dienstag

Zwischen Neymarismus und Ultra-Deppentum

(c) APA/AFP/PHILIPPE LOPEZ
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Darf ich heute, allen gewichtigeren Dingen im Weltenlauf zum Trotz, über das Leid des Fußballfreundes klagen?

Diese nahezu kultische Anbetung von marketingtechnisch optimierten Superstars! 222 Millionen Euro Ablöse für den Brasilianer Neymar: Ich erinnere mich an das Jahr 1992, als der AC Milan im Feilschen mit Juventus Turin um den Stürmer Lentini die damalige Rekordsumme von umgerechnet 9,6 Millionen Euro hinlegte. Der Vatikan nannte diese Summe eine „Verletzung der Würde der Arbeit“. Hat Papst Franziskus schon etwas zu den Millionen aus Katar für Neymar verkündet? Ob der Brasilianer „sein Geld wert ist“, „sich die Investition auszahlt“, wie in der Sportpresse gegrübelt wurde, ist die falsche Frage.

Die katarischen Eigentümer von Paris Saint-Germain gönnen sich einen Neymar, wie sich andere Superreiche einen van Gogh leisten; weil sie es können. Und so sind die Stars von heute gewissermaßen ähnlich unreal wie ihre virtuellen Computer-Spieldoubles. Auf YouTube findet sich ein rührendes Interview mit Hans Krankl, der vor der Kulisse des Wohnparks Alt-Erlaa die Bedeutung des Geldes für sein Auskommen rechtfertigen musste. Kann man sich eine ähnliche Befragung der Herren Neymar, Messi oder Ronaldo hinsichtlich ihrer wesentlich höheren (wie es scheint, bisweilen mutmaßlich am Fiskus vorbeigeschummelten) Einkünfte erwarten? Kaum. Das sind „Götter“. Die beleidigt man als Sterblicher nicht.

Diesem Neymarismus steht das zunehmend an kriminelles Erpressertum erinnernde Ultra-Unwesen gegenüber. Vereinschefs knicken vor „der Kurve“ ein, den diese sei „die Seele“ des Klubs und sorge für „Stimmung“. Woher dieses Verlangen nach dauerhaftem Parolengebrüll rührt, ist mir schleierhaft. Wenn ich zu einem Match gehe, will ich jubeln, schimpfen, granteln, schwärmen – aber nicht von einem „Vorsänger“ zum Grölen genötigt werden. Vielleicht gehören diese beiden Dinge zusammen: ohne Neymar kein Ultra, ohne Ultra kein Neymar. Schön ist das nicht anzuschauen.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2017)

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