Mein Dienstag

Knackig am Gaumen

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Ich mag Muskatnuss, verwende das Gewürz aber viel zu selten bis eigentlich gar nie, weil ich beim Einkaufen immer vergesse, dass Muskatnüsse existieren.

Überhaupt habe ich mich in meinem bisherigen Leben kaum mit der Muskatnuss beschäftigt, deswegen hat mich ja alles so kalt erwischt. Besuch aus der Türkei, Museumsbesuche, Kaffeehaustouren, Schnitzelüberfressungen und abends ein Lokal mit Weinkarte so dick wie eine Dissertation. „Was steht da?“, fragt mich da unser Gast, und ich lese Dinge wie Muskatparfum, Säurestruktur, frische Nase, knackig am Gaumen, Minzeanklänge und harmonisch eingebundene Tannine. „Es schmeckt wie ein Parfüm“, übersetze ich ihm denkbar schlecht, „wie ein Parfüm aus . . . diesem einen Gewürz“. Was Muskatnuss auf Türkisch heißt, wusste ich nämlich gar nicht, und es kam alles noch schlimmer, weil erstens, Tannine kenne ich nicht mal auf Deutsch, und zweitens, die wörtlichen Übersetzungen führen eher dazu, dass man den Wein bestimmt nicht trinken will. Aus Säurestruktur habe ich asit strüktür gemacht und dem Wein damit unfreiwillig eine radioaktive Note verliehen. Die Minzeanklänge klangen bei mir nicht so zauberhaft, bei der frischen Nase wurde der Gast leicht unruhig, und bei knackig am Gaumen habe ich fast zu weinen begonnen, denn das ergibt nicht nur keinen Sinn, es ist auch zu hundert Prozent unübersetzbar.

Jedenfalls will ich nicht über wörtliche Sprachvermittlungen schimpfen, in Wahrheit unterhalten sie mich ja enorm. Die Mama erzählt von einem Streit bei uns in Vorarlberg, ein türkischer und ein österreichischer Nachbar keppeln einander wegen einem Stück Garten oder so an, und irgendwann ruft der türkische Bewohner wutentbrannt über den Zaun, eine altbekannte anatolische Tirade wörtlich übersetzend: „Deine Milch ist kaputt, du Dreierpapier!“* Die beleidigende Wirkung konnte sich freilich nicht ganz entfalten, der Vorarlberger stand verwirrt herum und warf dem Nachbarn ein „Du kaasch mi am Buckl fünfala“ zu, und darüber hat der türkische Nachbar auch lange nachdenken müssen.
*sütü bozuk, üc kağıtçı!

E-Mails an: duygu.oezkan@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2017)

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