Der Heilige Stuhl sitzt die Krise aus

Irgendwann kommt jeder in die Paradigmenwechseljahre – und plötzlich findet man sich voller Begeisterung bei Tätigkeiten wieder, die man Zeit seines bisherigen Lebens als altmodisch, bürgerlich oder was auch immer angekreidet hat.

Keine Angst, ich schaue nach wie vor nicht „Tatort“, trage noch immer keine Armbanduhr und halte auch keine wöchentlichen Tarockrunden ab. Doch kürzlich ertappte ich mich dabei, wie ich mich gänzlich ungeniert der Phrase bediente, dass das „damals noch Zeiten“ gewesen wären. Eine Aussage, die ich noch nie leiden konnte, stellt sie doch einen rückwärtsgewandten Lebensentwurf dar, der die Hoffnung auf die Zukunft bereits aufgegeben hat.

Dementsprechend diagnostizierte ich mir sogleich einen spontanen Anfall einer Lebensmittelkrise (nein, Midlife-Crisis sagt man nicht, das ist ein böser Anglizismus!) und beschloss, mir selbst eine Buße aufzuerlegen. Fortan nehme ich Phrasen nur noch in den Mund, wenn sie zumindest eine gewisse Komik aufweisen. Wenn etwa der Vatikan zu wie auch immer gearteten Vorwürfen schweigt, werde ich davon sprechen, dass der Heilige Stuhl den Konflikt aussitzen will. Sperren die USA ein weiteres Konto, von dem aus Terroristen ihren Obulus überwiesen bekamen, werde ich damit titeln, dass die Selbstmordattentäter wohl künftig ihren Sprengstoffgürtel enger schnallen müssen. Sollte ich einmal bei den Weight Watchers anrufen und niemanden erreichen, muss ich wohl annehmen, dass dort einfach niemand abnimmt.

Und wenn ich noch einmal glorifizierend das Wort „damals“ verwende, möge ich mich sofort verschlucken – und auch nicht wieder herauskommen, selbst wenn mir etwas auf den Magen schlägt.


erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2010)

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