Weihnachten: Nur ja nicht allein feiern

Weihnachten nicht allein feiern
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Weihnachten ist das Fest der Liebe. Doch was machen Menschen, die niemanden haben, um zu feiern? Sie installieren eine Flirt-App und hoffen. Ein Selbstversuch.

Bling.“ Ein Herz leuchtet auf meinem Smartphone auf. „Du hast eine neue Nachricht von Andre erhalten.“ Ich öffne den Text. Ein junger Mann blickt mir entgegen: randlose Brille, Dreitagebart, Stehfrisur. Das soll also mein erster Online-Flirt sein. Dabei habe ich noch nicht einmal ein Foto hochgeladen.

„Singles sollten aktiv werden und Weihnachten für sich neu erfinden“, so hat der Flirt-App-Anbieter „Lovoo“ seine Dienste beworben. Mit Weihnachten lässt sich auf Single-Börsen viel Geschäft machen. Es ist die Zeit, in der niemand gern allein sein will. Weil die Schokoladendeko vom Tannenbaum und der Weihnachtsbraten eben besser zu zweit schmecken. Nicht umsonst liefert Google für die Schlagwörter „Weihnachten“ und „allein“ schon rund fünf Millionen Treffer.

Anbieter von Online-Dating-Plattformen wecken nun Hoffnungen. Lerne jemanden kennen, der die Weihnachtsfeiertage mit dir verbringt. Du musst nicht allein sein, suggerieren sie. Auch ich werde versuchen, jemanden für die Feiertage zu finden.

Das Smartphone braucht mehrere Sekunden, um die Flirt-App „Lovoo“ zu laden. Sie soll besonders bei Jüngeren beliebt sein und lässt sich leicht bedienen. Es gibt einen Knopf für „Chats“, für „Flirts suchen“ und „Flirtmatch“. Das Flirtradar zeigt an, wer im Umkreis ebenfalls auf der Suche ist. Ob wer näher ist als 100 Meter, zeigt er allerdings nicht an. Aus Datenschutzgründen. Nutzer können im Ernstfall einen Notfall-Button drücken. „Sie werden dann sofort mit dem Polizeinotruf verbunden“, verspricht die App. Beruhigend. Ich habe den Knopf nur nie gefunden.

Statistisch gesehen gibt es zumindest die Chance, jemanden im Internet zu finden. In den vergangenen Jahren haben Online-Dating-Portale wie Parship ständig Mitglieder gewonnen. Ihre Jubelmeldungen („16 Prozent der Befragten haben sich über das Internet gefunden“) werden gern in Zeitungen abgedruckt. Klar, wer hofft nicht, dass Mr. Internet das Alleinsein-Problem löst? Dem Gegenüber steht die wissenschaftliche Studie von US-amerikanischen Psychologen, die bestätigen, dass die Versprechungen von Online-Dating-Anbietern kaum zu halten sind. Trotzdem kennt immer irgendjemand eine erfolgreiche Geschichte: Auch eine Freundin von mir hat einen Mann geheiratet, den sie über eine Kontaktanzeige kennengelernt hat.

Doch zurück zum Bild von Andre aus Kassel. Leider so gar nicht mein Fall. Der Nächste, bitte! Oh, da ist niemand mehr. Also erst einmal das Profil vervollständigen – mit einem Foto. Dann geht es richtig los. (Merke: Ohne Foto geht bei der Partnersuche nur bei Jungs aus Kassel etwas.) Mehr Meldungen leuchten auf. Igor sagt „Bätsch“, ein 28-Jähriger ist mit „Hi“ auch nicht kreativer. „Milan“ fragt: „Bist du Stier?“ Kunststück, ich habe meinen Geburtstag im Profil eingetragen. Alles in allem kein ansprechender Typ in Sicht. Bis auf Stefan, 28. Aber der antwortet natürlich nicht.

Fleischbeschau.
Meine von der App angezeigten „Flirtmatches“ sind im Durchschnitt 17 bis 30 Jahre alt. (Und das, obwohl die Filtermaschine nach deutlich Älteren suchen sollte.) Sie lachen von fingernagelgroßen Fotos. Zum Großteil halb nackt, auftrainierte Bäuche, Gelfrisur, solariumgegerbte Haut. Esmet, 17, im Profil nur ein Foto von seinem Sixpack, schreibt: „Echt süßes Gesicht. Hast du noch ein anderes Foto?“ „Klar“, schreibe ich, „aber krieg ich dann auch eines von deinem Kopf?“ Dominik scheint dafür nett zu sein. Angestellter in Wien. Auch er ist über Weihnachten allein.

Über Leute wie ihn freuen sich die selbst ernannten Match-Maker. Zu Weihnachten ist hier Hochsaison. Täglich melden sich 9000 Menschen an, behaupten die Anbieter von „Lovoo“. Auch Dominik ist erst seit ein paar Wochen hier. Rund 400.000 User (viele davon in Deutschland) würden die App derzeit benützen.

Das Smartphone leuchtet auf. Mitten in der Nacht. „Wildes Abenteuer?“, fragt ein Wiener. Ich (verschlafen): „Was?! Jetzt?!“ Er: „Nein, aber die Tage kannst ja mal zu mir :).“

Wie großzügig. Und in diesem Ton geht es den ganzen Tag weiter. Wer ein schnelles Abenteuer sucht, wer nicht den Seelenverwandten für besinnliche Abende braucht, der ist hier bestens aufgehoben. Im Stundentakt kommen die Zuschriften. Manche unscheinbar, manche flirtend, manche schreiend peinlich. Zeit, mit mir Weihnachten zu verbringen? Ja, klar. Am liebsten würden sie das noch in der gleichen Nacht.

Nur Dominik, der Angestellte, wirkt sympathisch. Erzählt von sich und der Arbeit, dass er bisher bei der Suche weniger Glück gehabt hat. Wir verabreden uns. Er wartet am nächsten Tag vor der U-Bahn-Station Volkstheater. Nach einpaar entschuldigenden Sätzen („Sorry, ,Die Presse am Sonntag‘, ich schreib eine Geschichte.“) ist die Stimmung gelöst. Dominik hat bisher zwei Frauen getroffen. Nichts draus geworden. Sie hätten ihm, meint er, optisch nicht so gut gefallen. „So eine Flirt-App“, sagt er, „hat den Vorteil, dass man die Fotos verändern kann.“ Trotzdem will er weiter sein Glück versuchen. Anfang-20-Jährige wie er, würden immer häufiger Online-Dating-Portale verwenden, behauptet er.

Zeit zu gehen. Und Flirt-App ade. Weihnachten allein verbringen zu müssen mag ja traurig sein. Per Flirt-App jemanden zu suchen, mit dem man vor dem Christbaum sitzen kann, kann aber noch um einiges trauriger sein.

Flirtlaune

Flirtapps und Online-Dating-Plattformen haben zu Weihnachten Hochbetrieb – behaupten zumindest die Betreiber. Ob sich so schnell die große Liebe einstellt, ist fraglich. Zu den bekannteren zählen:

FriendScout24:www.friendscout24.at, angeblich über 24 Millionen Mitglieder (viele in Deutschland).

Lovoo:www.lovoo.net,
Plattform und App, die eher für jüngere Leute gedacht ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2012)

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