Für eine Suppe in die Nacht

Suppe für die Obdachlosen
Suppe für die ObdachlosenStanislav Jenis
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Mehrere hundert Teller warme Suppe verteilt die Caritas mit ihren Suppenbussen jede Nacht an Wiens Obdachlose. Auch dank der Leser der "Presse":

"Ihr seid's ja meine Engerln", sagt der junge Mann im dicken Anorak in breitem Wienerisch, als der improvisierte Tisch mit dem großen Thermo-Behälter, die Kiste mit dem Brot und der Stapel an Plastikschüsseln hinter dem offenen Bus am Bahnhof Floridsdorf, unter der Bahnunterführung, aufgebaut wird. Er hat gewartet, wie jeden Tag. Hat sich aus seinem Schlafquartier – wo genau es ist, erzählt er, „aber niemandem sagen, sonst schicken's mi wieder weg“ – kurz vor neun noch einmal aufgemacht.

Seit vier Jahren, „am 18. Dezember genau vier, da hab i so was wie Geburtstag“, sagt er und lacht, lebt er am Floridsdorfer Spitz. Schläft draußen, versteckt. Morgens, bevor ihn die Menschen auf dem Weg zur Arbeit entdecken könnten, steht er auf. „Das sieht keiner, dass ich dort jede Nacht bin, um sechs bin ich ja schon wieder beim Mac und trink meinen Kaffee.“ Wie es gekommen ist, dass er auf der Straße lebt? „Da werma nimma fertig“, sagt er, winkt ab. Warum er nicht in eine Notschlafstelle gehe? Beim letzten Mal, erklärt er, sei ihm dort der Anorak gestohlen worden. Die Leute dort halte er nicht aus, sagt er, ereifert sich über Drogenkranke in Frühpension. Dann nimmt er noch ein Einmachglas voll Suppe mit, verabschiedet sich. „Jetzt hau i mi da eini“, sagt er, deutet auf den Schlafsack. „Danke. Und guate Nacht.“


20.000 Teller mehr in einem Jahr. Er ist einer der täglichen 150 bis 360 Gäste, im Sommer mehr, im Winter weniger, die abends zum Canisibus oder dem Francescobus, den beiden Suppenbussen der Wiener Caritas kommen. Seit es diese Busse gibt, seit 20 Jahren, sind noch nie so viele Menschen für eine Suppe zu den Bussen gekommen wie in der jüngsten Zeit. 87.300 Teller wurden voriges Jahr ausgegeben, fast 20.000 mehr als 2011. Seit zwei Jahren, erzählt Sonja Meznaric, die das Projekt der Caritas leitet, werden die Gäste stetig mehr. 180 Liter Suppe werden jeden Tag in der Küche des Juca-Hauses der Caritas in der Ottakringer Römergasse gekocht. Ein riesiger Suppentopf, den jeweils einer der Zivildiener des Caritasprojekts als Chefkoch verantwortet. 30 Kilo Gemüse landen darin, zwei große Schüsseln Suppenwürze. Am Nachmittag beginnen Zivildiener und freiwillige Helfer Gemüse zu schälen, um sieben ist die Suppe fertig, dann wird gegessen, um 19.30 Uhr brechen die Busse zu ihren je vier Stationen auf.

Kurz vor acht, der erste Halt an der Friedensbrücke. Dort, wo nun ein Christbaumstand den üblichen Platz verstellt und für den Canisibus nur der Radweg bleibt. Hin und wieder komme es zu Konflikten, erzählt Christian Bauer. Er lenkt den Bus an diesem Abend – wie an jedem Dienstag seit anderthalb Jahren. Und lieber, so erzählt er, würde das Team ohnehin am Franz-Josephs- Bahnhof halten, dem Aufenthaltsort vieler Obdachloser. Aber das wolle man im Bezirk nicht. Um 19.45 Uhr kommen die Gäste – jene vom Bahnhof und die aus nahen Wohnungen – ohnehin zur Brücke. Jeden Tag, gleiche Zeit, gleicher Ort – das ist einer der Leitsätze des Suppenbusteams.


„Presse“-Leser finanzieren Bus. Zwei Stammgäste warten schon. Susi und Michi. Sie kommen seit Jahren, mittlerweile arbeiten sie selbst im Team. Oder Adam, ein 42-jähriger Pole, der in der Nähe wohnt. Vor zwei Jahren, erzählt er bei Spargelsuppe und Brot, sei er nach Wien gezogen, arbeitet im Winterdienst von Attensam. Die 500 Euro im Monat reichen für die Miete. Zum Leben? Für Suppe? Nicht genug.

1,50 Euro kostet ein Teller Suppe, Etwa 350 Euro die Essensausgabe pro Tag – die Kosten verursachen vor allem die Busse. Finanziert wird das Projekt nur durch Spenden, etwa von Lesern der „Presse“, die seit Jahren die Aktion unterstützen – auch dieser Ausgabe liegt ein Spendenscheck bei. Diese Spenden finanzieren auch die Suppe, die Adam in der Kälte mit zwei Männern in der Ecke isst. Er ist kein Obdachloser, aber das sind viele der Gäste nicht. „Wir haben ein Gebot“, sagt Sonja Meznaric, „wir fragen nicht, woher und warum jemand kommt.“

„Ungefähr jeder Zweite“, schätzt Christian Bauer, sei wohnungslos. Es sind mehr Männer, die abends auf eine Suppe kommen. Aber der Frauenanteil steigt. Besonders am Praterstern, sagt der Techniker, der seit zehn Jahren Teil des Teams ist. Damals, in seinem Sabbatjahr, hat ihn seine Frau quasi angeworben, erzählt er, während er den Bus nach Floridsdorf lenkt. Neben ihm sitzt Kathrin Pirka. Die Studentin ist im Internet auf das Projekt gestoßen und gehört seit ein paar Monaten zum Dienstagsteam. In Summe sind rund 70 Freiwillige dabei. Studenten, Hausfrauen, Ärzte und auch ein Bundesheeroffizier, der Geräte für die Großküche organisiert hat.


Warten, auch zu Weihnachten. „Ganz toll, ganz toll, dass ihr das macht. Ganz wichtig ist das“, sagt eine Dame, die in Floridsdorf an die Scheibe geklopft hat, durchs Fenster. „Nur, ausschauen tut's da grauenvoll. Könntet's ihr machen, dass ein Mistkübel aufgehängt wird?“ „Notieren wir“, sagt Christian Bauer, steuert den Bus weiter. „Zuhören“, sagt er, „alle Sorgen ernst nehmen, die Gäste, die Anrainer.“ Das sei wichtig. „Die schwierigste Station ist der Praterstern.“ Die Drogenszene, viele Obdachlose, manche sind aggressiv, schimpfen. Über die Suppe oder die Kirche.

Nicht an diesem Abend. Eine Gruppe wartet. Einige Frauen, die ihre Suppe in der Kälte auf Betonblöcken unter einer Brücke essen. Ein Mann, der wortlos einen Zettel zeigt – ein Beratungstermin einer Obdachloseneinrichtung ist darauf vermerkt. Wo das sei, versucht er ohne ein Wort Deutsch zu erfragen. Straßennamen sagen ihm nichts, schließlich hilft ein gezeichneter Plan. Ein junger Mann, er hinkt, trägt Hörgerät, spricht undeutlich, kommt zu spät, will Suppe, während alles schon eingepackt ist – doch er bekommt noch eine.

Wieder zusammenpacken, auf zur letzten Station. Am Schottentor stellen sich die einen sofort an, andere stehen scheinbar unbeteiligt in der Nähe. Erst als die erste Schlange versorgt ist, kommt ein Mann in Mantel und elegantem Schal. Ein anderer – allen Klischees nach würde man ihn ebenso wenig für einen Gast des Canisibusses halten – betont, er komme nur hin und wieder auf eine Suppe. Erzählt von Karriere, von Kontakten. Trotzdem, das Team kennt ihn gut. Vielleicht wird er auch nächsten Dienstag kommen.

Am Heiligen Abend. Christian Bauer wird dann da sein. Seine Kinder, sagt er, seien erwachsen, „das halten sie schon aus“. Er lacht. Und seine Dienstagsgäste, der junge Mann in Floridsdorf etwa, die warten ja jede Nacht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2013)

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