Apokryphe Weihnacht: Josef verkauft den Ochsen

Krippe in der Minoritenkirche
Krippe in der MinoritenkircheDie Presse
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Jahrhundertelang prägten außerbiblische Evangelien und Legenden die Vorstellungen von Jesu Geburt und tun es teilweise bis heute, ohne dass es vielen bewusst ist.

Erst Ochs und Esel machen die Krippe zu Weihnachten so richtig gemütlich, oder nicht? Die gemütvolle Tradition der Krippendarstellungen lebt von diesen gemütlichen Tieren. Sie galten zwar im Volksmund nie als sonderlich gescheit– vielmehr als „Hornochse“ und „dummer Esel“ –, aber sie geben der Geburt des Jesuskindes die schöne Stallwärme, die das Weihnachtsfest für viele hat. Auch wenn diese Geburt, glaubt man der Schilderung des Evangelisten Lukas, alles andere als idyllisch war.

Den Menschen, die in den fast zwei Jahrtausenden Weihnachten gefeiert haben, müssen Ochs und Esel sehr wichtig gewesen sein. Sonst hätten die Tiere im Volksglauben nicht so hartnäckig überlebt, während unzählige andere legendenhafte Elemente rund um Jesu Geburt verschwunden sind. Sie sind der letzte Zipfel einer überbordenden außerbiblischen Tradition von Weihnachtsgeschichten, die noch im Mittelalter wild blühen durfte.

Von der Höhle zum Stall. Diese Tradition bezog viele Elemente aus apokryphen Schriften, die später als die vier Evangelien entstanden und nicht in den Kanon der heiligen Schriften aufgenommen wurden. In Bezug auf die Kindheitsgeschichte Jesu prägten diese Texte bis in die Renaissance den Volksglauben teilweise sogar mehr als die Erzählungen der Bibel. Erst die Reformation bekämpfte die Apokryphen heftig. Die katholische Gegenreformation dämmte sie dann ebenfalls ein.

Auf einem Sargrelief des 3. Jahrhunderts und im 4. Jahrhundert auch auf etlichen anderen Bildern sieht man den Ochsen und den Esel neben der Krippe, dabei kommen sie im Neuen Testament nicht vor. Sehr wohl aber finden sie sich in einem apokryphen Kindheitsevangelium, das man später dem Matthäus zuschrieb. Dieses Pseudo-Matthäusevangelium, das erst im 8. oder 9.Jahrhundert entstand, verlegt die Geburt Jesu in eine Höhle, wie es im byzantinischen Raum üblich war. Maria habe Jesus erst am dritten Tag nach der Geburt in einen Stall gebracht und in eine Krippe gelegt, „und Ochs und Esel beteten ihn an“.

Ochs und Esel als erste Anbeter, noch vor den Hirten und den Heiligen Drei Königen? Das ist nicht an den Haaren herbeigezogen, sondern steht so im Alten Testament. „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn“, zitiert der Text den Propheten Jesaja. Interessant wird dieser Satz, wenn man dessen Kontext im Alten Testament mitdenkt: Jesaja klagt damit die Menschen an („Israel erkennt nicht, mein Volk kommt nicht zur Einsicht“, lautet der nächste Satz). Die Tiere dagegen wissen, wer ihr Herr ist und ihnen das Lebensnotwendige gibt, so die Botschaft. Noch eine zweite Prophetenstelle zitiert der Pseudo-Matthäus: „In der Mitte zwischen zwei Tieren wirst du erkannt werden“, heißt es beim Propheten Habakuk, als er um Gottes Erbarmen bittet. Nicht zufällig stehen Ochs und Esel auf Bildern so oft links und rechts von der Krippe.

In einer anderen Apokryphe, dem Protevangelium des Jakobus, liegt die Höhle, in der Maria und Josef schließlich landen, an der Straße von Jerusalem nach Bethlehem. Dort ließ Kaiser Konstantin später eine fünfschiffige Basilika bauen, die älteste noch erhaltene christliche Kirche (wenn auch nicht in ihrer ursprünglicher Form). Bis heute zeigen Weihnachtsikonen der Ostkirche Jesu Geburt nicht in einem Stall, sondern in einer Grotte.

Aber auch Lukas spricht nicht vom Stall, nur von einer Krippe. „Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war“, heißt es nur über Maria.


Die Krippe im „Durchgang“. Im Mittelalter, als Kirchenmänner sich noch nicht scheuten, die in den Apokryphen gesponnenen Legenden aufzugreifen, schrieb Jacobus de Voragine, Erzbischof von Genua, seine berühmte Legendensammlung „Legenda aurea“, er vermutete die Geburt Jesu in einem öffentlichen „Durchgang“: „Als beide nach Bethlehem kamen, konnten sie – sowohl, weil sie arm waren, als auch, weil andere alle Unterkünfte belegt hatten – keine Unterkunft haben. Also kehrten sie in einen offenen Durchgang zwischen zwei Häusern ein... Darunter kehrten die Bürger ein, um miteinander zu reden oder um an Feiertagen gemeinsam zu essen oder bei schlechtem Wetter. Dort hatte vielleicht Josef eine Krippe gemacht für Ochs‘ und Esel, oder manchen Quellen zufolge banden die Bauern dort ihre Tiere an, wenn sie zum Markt gingen, und deswegen sei dort eine Krippe aufgebaut gewesen.“

Wieder kein Stall also, und schon gar nicht eine einsame Hütte zwischen Schafsweiden, wie man sie auf Weihnachtskarten sieht. Stattdessen eine Art U-Bahn-Station des Altertums, ein lärmender städtischer Treffpunkt. Auch für den Ochsen und den Esel hat Jacobus de Voragine eine Erklärung: Beide hat Josef als einzigen Besitz selbst mitgebracht. Den Esel braucht er als Last- und Reittier (später wird derselbe Esel die Familie auf der Flucht vor Herodes nach Ägypten tragen), den Ochsen hat er mit, um ihn zu verkaufen, weil er Geld braucht.

Sinn für das Höhere haben die zwei Tiere auch bei ihm – sie rühren das Heu nicht an, auf dem das Jesuskindlein gelegen ist. Später wird der „Legenda aurea“ zufolge die heilige Helena, die Mutter Konstantins des Großen, dieses Heu nach Rom bringen.

Bilder und volkstümliche Geschichten aus dem Mittelalter zeigen, dass Ochs und Esel schon fast das Erkennungszeichen der Krippe sind (in einer Geschichte etwa sind sich die Hirten, als sie die Tiere sehen, sicher, das Jesuskind gefunden zu haben). Auch die bildende Kunst zeigt fast von Anfang an die Krippe mit einem Ochsen und Esel. Das zeigt, wie stark die Apokryphen, wenn es um Jesu Geburt geht, auf den Volksglauben, auf die Kunst und die Literatur gewirkt haben. Aber entscheidend für die Etablierung des Ochsen und Esels als Krippenerkennungszeichen war auch der heilige Franziskus. Er erfand die „lebendigen Krippen“, die bis heute beliebt sind – auch beim jetzigen Papst, der sie schon in seiner Zeit in Argentinien gefördert hat.

Ochs und Esel kommen aus den Apokryphen, aber auch das Motiv des alten Josef. Apokryphen Evangelien zufolge ist er ein Witwer und hat mehrere erwachsene Söhne. In mittelalterlichen Krippenspielen wurde Josef gern so altersschwach dargestellt, dass er völlig hilflos war und Maria nicht einmal beistehen konnte. Gemälde jener Zeit zeigen ihn als müden Greis mit langem weißen Bart. Diese Neigung zum älteren Josef hat sich in Krippendarstellungen bis heute gehalten. Auch in der „Legenda aurea“ wird als selbstverständlich vorausgesetzt, dass Josef ein alter Mann war. Der Sinn dieses Details: Es machte die sexuelle Beziehung zwischen den Verlobten unwahrscheinlicher – und damit die Jungfräulichkeit Mariens glaubwürdiger.

Die Hebamme verliert ihre Hand. Verschwunden aus dem Volksglauben ist die Hebamme. Im apokryphen Protevangelium des Jakobus wird Jesus in einer Höhle auf dem Weg nach Bethlehem geboren, und Josef holt von dort eine Hebamme, die als Erste erkennt, dass der Heiland geboren ist. In der „Legenda aurea“ zweifelt die Hebamme hingegen an Mariens Jungfräulichkeit und will sie überprüfen, woraufhin ihre Hand verdorrt.

Von Lukas kommt die Erzählung vom Engel, der zu den Hirten kommt, Matthäus brachte die drei Weisen aus dem Morgenland ins Spiel, die im 3.Jahrhundert zu Königen umgedeutet wurden. Auch daran sind Apokryphen „schuld“, ebenso wie an den Namen, die man ihnen bis heute gibt. Im armenischen Kindheitsevangelium sind sie Brüder, herrschen als Könige über Arabien, Persien und Indien und heißen Gaspar, Melquon und Balthasar.

Kindheits- Evangelien

Außerbiblische Evangelien zur Geburt und Kindheit Jesu haben den Volksglauben und das Brauchtum geprägt. Sie zählen zu den Apokryphen (griech. apokryphos), also Schriften, die nicht in den Bibelkanon Eingang fanden.

Das Protevangelium des Jacobus stammt vermutlich aus der zweiten Hälfte des 2.Jh. Es gilt als ältestes und berühmtestes Kindheitsevangelium.Hier wird Jesus in einer Höhle geboren. Der Text war für die Ostkirche sehr wichtig.

Das Pseudo-Matthäusevangelium warim Westen das einflussreichste Kindheitsevangelium. Es entstand erst im 8. oder 9. Jahrhundert und hatte großen Einfluss auf Kunst und Literatur.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2014)

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