Betlehem: "Alles, was wir wollen, ist Gerechtigkeit"

Geburtskirche in Bethlehem
Geburtskirche in BethlehemReuters
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In der Geburtsstadt Jesu klagen die Händler über Einbußen. Dabei ließ sich das Jahr gut an, die Papstvisite kurbelte den Tourismus an - bis er im Zuge des Gazakriegs einbrach. In der Geburtskirche gehen Renovierungsarbeiten voran.

Die überdimensionale Plastiktanne auf dem Manger Square, dem Krippenplatz in Bethlehem, ist heuer in Schwarz, Weiß, Rot und Grün dekoriert, den Farben des Palästinenserstaats, der weiterhin nur auf dem Papier existiert. Rami Hamdallah, der machtlose Palästinenser-Premier und ehemalige Linguistik-Professor, hat am Nikolotag den schillernden Christbaumschmuck erleuchtet. Und Präsident Mahmud Abbas wird aller Voraussicht nach, wie es seit den letzten Jahren der Ära Jassir Arafats gute Tradition ist, der Christmette beiwohnen – auch um Sympathie zu heischen für die Sache der Palästinenser.

„All We Want for Christmas is Justice“, prangt auf dem Plakat, das die Bühne schmückt. Gerechtigkeit – das ist das Schlüsselwort für die Palästinenser in einem Jahr, in dem die Hoffnung auf Frieden in Nahost erneut einen herben Rückschlag erlitt und in dem der Gazakrieg auch das Westjordanland in Mitleidenschaft zog. Der Tourismus, die Lebensquelle Bethlehems, brach für einige Monate ein, bis er im Spätherbst wieder angezogen hat.

„Rot, Grün und Weiß stehen auch für die Liebe, Hoffnung und Frieden“, sagt Vera Baboun, die vorweihnachtlich gestimmte Bürgermeisterin, eine Anglistik-Dozentin, Christin und die erste Frau im Rathaus von Bethlehem, der 30.000-Einwohner-Stadt im welligen Hügelland südlich von Jerusalem. Nur rund zehn Kilometer sind die beiden Städte Jerusalem voneinander entfernt, und doch liegt eine Welt zwischen den beiden heiligen Stätten der Weltreligionen: Ein acht Meter hoher Sperrwall trennt die Stadt Davids von der Hauptstadt Israels, im Norden und Südosten abgeriegelt durch Checkpoints der israelischen Armee.

Geschäft um die Geburtskirche

Das Jahr hatte sich gut angelassen in Bethlehem. Die Papst-Visite im Frühjahr, die Bilderbuchfotos von Franziskus in der Geburtskirche und am Krippenplatz inspirierten die Christenheit, es dem Oberhaupt der katholischen Kirche gleichzutun und ins Heilige Land zu pilgern. Das Geschäft in der Stadt florierte, und inzwischen gibt es sogar einen Plan, den zentralen Manger Square zu untertunneln, den Verkehr in den Untergrund zu verbannen und den ewigen Stau aufzulösen.

„Ich weiß von Touristenführern, die ihre Freikarten für die Messen in der Geburtskirche für 500 Dollar pro Stück verkaufen“, berichtet Michael Jakaman, der direkt am Manger-Platz das Christmas-House führt, einen Souvenirladen. Jakaman ist katholisch und gehört selbst zur Gemeinde der Geburtskirche, trotzdem geht er kaum noch dorthin. „Das letzte Mal war ich im Sommer zur Hochzeit meiner Tochter in der Kirche.“

Der Ladenbesitzer hadert ein wenig mit seinem Schöpfer. Er ist immer noch frustriert über die schweren Einbußen im Souvenirhandel im Zuge des Gazakriegs im Sommer, als die Besucher schlagartig wegblieben und die guten Prognosen im ersten Halbjahr Lügen straften. Kaum war der Krieg im Gazastreifen vorbei, fing die Stadtverwaltung an, die Häuserfront entlang des Manger-Platzes zu renovieren. „Zwei Monate lang versperrten die Baugerüste den Zugang zu meinem Laden“, schimpft Jakaman.

Bethlehem macht in diesen Tagen vor dem Christfest einen gepflegteren Eindruck als in den Vorjahren. Die Hecken sind gestutzt, die Straßen gefegt und auf dem Manger-Platz stehen neue Bänke. Der große Touristensturm ist freilich erst für den Heiligen Abend angesagt und für die zwei Wochen danach bis zum Dreikönigstag und den orthodoxen Weihnachtsfeiern.

Offiziellen Angaben zufolge sind ein Viertel der Bewohner Bethlehems ohne Arbeit und leben unter der Armutsgrenze. Längst hat auch ein Exodus der palästinensischen Christen in die Diaspora eingesetzt: Bis vor wenigen Jahrzehnten überwogen in der Geburtsstadt Jesu die Katholiken, in der Zwischenzeit sind sie auf lediglich ein Viertel geschrumpft.

In der Geburtskirche wurde bis zur letzten Minute Hand angelegt. Die Renovierungsarbeiten sind damit nicht abgeschlossen. Marcello Piacenti, der Chef-Restaurator aus Rom, und sein 15-köpfiges Team haben Stahlstangen und Klebstoff in das bestehende Holzwerk eingelassen, um dem Bau neue Stabilität zu verleihen.

Als der Regen durchs Dach fiel

Für das Dach und die Fenster, in die es hineingeregnet hatte, stellte der Restaurator zwei Millionen Euro in Rechnung. Palästinenserpräsident Abbas beglich rund 800.000 Euro aus dem öffentlichen Haushalt. Palästinensische Banken und private Firmen gaben noch einmal 600.000 Euro dazu. Den Rest spendeten vor allem Frankreich, Ungarn, Griechenland und der Vatikan.

„Noch reicht das Geld nicht, um die Kirche komplett zu restaurieren“, sagt Siad Bandak, Beauftragter für die Erneuerungsarbeiten. 2012 verlieh die Unesco der Kirche den Titel Weltkulturerbe. Die Unesco zahle selbst nichts dazu, dafür aber sei es leichter geworden, Spender für die Restauration zu gewinnen, so Bandak. Experten veranschlagen insgesamt eine Summe von 15 Millionen Euro.

Schwieriger war es anfangs, eine Einigung unter den drei Kirchengemeinden zu erreichen, den Katholiken, Armeniern und der griechisch-orthodoxen Gemeinde. Die Koexistenz der drei Kirchen ist nicht immer friedlich, die Bürger von Bethlehem witzeln über den Konkurrenzkampf bei den vorweihnachtlichen Putzorgien.

Bei jedem Handgriff ist Vorsicht geboten. Möglich, dass sich unter den Farbschichten noch alte Malereien verstecken, sagt Piacenti, selbst gläubiger Christ mit einem Kreuz am Halskettchen. Die Arbeit in der Geburtskirche bedeutet ihm sehr viel, vor allem in den Nachtstunden. „Wenn die Mönche kommen und die Öllampen nachfüllen, ist das ein ganz emotionaler, religiöser Moment.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2014)

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