Das Christkind ist (k)ein Geldverschwender

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Geht es nach manchen Ökonomen, wäre der 24. Dezember ein ganz normaler Tag. Für sie ist Weihnachten vor allem eine gigantische Geldvernichtung. Ganz so ist es aber nicht: Geschenke haben auch ökonomisch Sinn.

Wien. „Weihnachten gehört abgeschafft!“ Diesen Satz haben angehende Volkswirte jahrelang bei ihren Weihnachtsvorlesungen zu hören bekommen. Das Fest der Liebe sei nämlich im Grund nicht mehr als eine gewaltige Geldverschwendung, lautet die Argumentation manch kühl kalkulierender Professoren. Sie alle berufen sich dabei auf eine Studie, die der amerikanische Volkswirt Joel Waldvogel Anfang der 1990er-Jahre im renommierten Fachblatt „American Economic Review“ veröffentlicht hat. Er argumentiert darin, dass niemand besser über die Bedürfnisse und (Weihnachts-) Wünsche der Menschen Bescheid wisse als die Beschenkten selbst. Das Christkind – und seine menschlichen Stellvertreter – griffen daher trotz bester Absichten regelmäßig daneben und verringerten so den Wohlstand aller. Teure Büchersammelbände verstauben ungelesen im Regal, der schon unerschöpfliche Duftkerzenvorrat im Keller wird um ein weiteres Dutzend erweitert, die neuen T-Shirts der falschen Marke dem Pudel übergezogen.

Jeder Euro, der in der Vorweihnachtszeit für derart verfehlte Geschenke ausgegeben werde, fehle den Schenkenden dann für den eigenen Konsum, so die Argumentation. Zehn bis 30 Prozent aller Ausgaben für Geschenke seien verloren, rechnete der Ökonom vor.

In Österreich, wo jeder Bürger heuer laut GfK-Schätzung im Schnitt 387 Euro für Weihnachtsgeschenke ausgegeben hat, würde sich Weihnachten demnach mit einem Wohlfahrtsverlust von 325 bis 975 Millionen Euro niederschlagen. Es gibt also in den Augen von Waldvogel nur ein ideales Geschenk zu Weihnachten: Bargeld.

Auf zur Ehrenrettung

Seither sind ganze Heerscharen von Ökonomen zur Ehrenrettung von Weihnachtsmann und Christkind angetreten. Sie haben die Thesen des streitbaren Ökonomen zumindest teilweise widerlegen können. Ein Grund dafür ist die schwache Datenbasis, auf die der US-Wissenschaftler seine Ergebnisse stützt. Waldvogel fragte 1993 nämlich lediglich 58 seiner Studenten, was sie für die Weihnachtsgeschenke, die sie erhalten haben, selbst ausgeben würden. Aus ihren Antworten zog er das Resümee, dass Geschenke um zehn bis 30 Prozent überbezahlt seien.

Aus einer rein mikroökonomischen Perspektive ist die Forderung nach Bargeld als universales Geschenk durchaus plausibel. Alles andere wäre ineffizient. Das gilt allerdings nur dann, wenn wirklich alle Menschen keinen anderen Lebenszweck verfolgen, als ihren eigenen materiellen Nutzen zu maximieren. Dieser Homo oeconomicus in einer solchen Form hat aber nie existiert, nicht einmal in den Textbüchern der Ökonomen. Dennoch blendet Waldvogel alle anderen Motive für menschliches Handeln weitgehend aus.

Meins ist wertvoller als deins

Und selbst wenn man seine Studie wiederholt, lässt sie auch komplett andere Schlüsse zu. Vor allem dann, wenn man nicht wie er Studenten der Eliteuniversität Yale befragt, die möglicherweise tatsächlich etwas schwierig zu beschenken sind, sondern normale Menschen.

Einige Jahre später kauften die Volkswirte John List und Jason Shogren Studenten in einer Auktion ihre Weihnachtsgeschenke wieder ab und mussten dabei um bis zu 35 Prozent mehr bezahlen als die Schenkenden.

Die Ökonomen Sara Solnick und David Hemenway kopierten Waldvogels Versuch exakt – nur eben mit durchschnittlich reichen Studenten – und fanden dabei sogar einen Wohlfahrtsgewinn von bis zu 100 Prozent.

Wie lässt sich derart irrationales Verhalten mit der sonst so rationalen Welt der Ökonomen vereinbaren? Einen Ansatz lieferte der US-Volkswirt Richard Thaler an der Universität von Chicago schon Anfang der 1980er-Jahre. Der von ihm entdeckte Endowment- oder Besitztumseffekt besagt, dass wir Objekten, sobald wir sie besitzen, automatisch einen höheren Wert beimessen.

Verborgene Wünsche wecken

Je näher sich Schenkende und Beschenkte stehen, desto höher werden die Geschenke bewertet. Zumindest für die Liebsten ist jeder Euro für Weihnachtsgeschenke demnach in keinem Fall verloren. Und noch ein Argument führten Waldvogels weihnachtliche Gegenspieler ins Feld: Seine Annahme, dass nur die Beschenkten wirklich wüssten, was sie wollen, sei in ihren Augen nicht haltbar. Denn niemand könne alle Produkte kennen, die auf dem Markt erhältlich sind. Und da Menschen gerade zu Weihnachten oft nach Geschenken suchen, von denen sie vermuten, dass der andere sie nicht kennt, könnten so verborgene Bedürfnisse geweckt und die Wirtschaft damit zusätzlich angekurbelt werden.

Die Volkswirte an den Universitäten finden also eine ganze Reihe an Gründen, warum wir zu Weihnachten vielleicht doch nicht einfach nur Bargeld auf den Christbaum hängen sollten. Aber, ganz ehrlich, eine große Überraschung ist das nicht. Denn um ihren Liebsten eine Freude zu machen, benötigen die meisten Menschen zum Glück kein Excel-Sheet, das ihnen ausrechnet, wie viel sie als Gegenleistung dafür erwarten dürfen.

Nächste Weihnachten können sich die Ökonomen also getrost zurücklehnen. Noch braucht das Christkind ihre Ehrenrettung nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2014)

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