„Er wusste nur Tannenzapfen zu tragen“

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O Tannenbaum. Was haben geschmückte Koniferen mit dem christlichen Fest zu tun? Warum hingen früher Äpfel daran? Und darf oder soll man unter dem Christbaum komische Lieder singen? Wissenswertes über die treuen Blätter.

Unter den Weihnachtsgrüßen, die eine Redaktion auf elektronischem Weg ereilen, findet sich auch manch Originelles. Heuer etwa von einer Galerie in der Josefstadt, sie schickt ein Video, auf dem Helmut Qualtinger das weihnachtliche Gedicht „fia n piotr“ liest. Das Originellste daran ist, dass dieses einem H. C. Hartmann zugeschrieben und als „unverwechselbares Beispiel dafür, wie sich die Wiener Seele in der Hochkultur manifestiert“ bezeichnet wird. Da hätte der Artmann eine Freude gehabt . . .
Das Gedicht an sich, aus der Sammlung „med ana schwoazzn dintn“ (1958), ist längst ein Klassiker, es beginnt mit den schönen Zeilen: „auxoffana r untan gristbam/waun d keazzn brenan . . .“ Neben den Kerzen kommen Engerln, Silberfeen und Windbäckerei vor, die Standardbestückung eines österreichischen Weihnachtsbaumes also. Zumindest in der Zeit, bevor die alternativen Biostrohsterne sich durchsetzten, die das Szenario begünstigen, das im Bronner-Qualtinger-Dialog „Travnicek und Weihnachten“ so beschrieben wird: „Sie haben keine Poesie, Travnicek. Denken Sie an Ihre Kindheit. Was pflegten Sie da zu Weihnachten zu kriegen?“ „Watschen.“ „Warum?“ „Ich pflegte den Baum anzuzünden.“ „Absichtlich?“ „Naa, es hat sich so ergeben.“

An ihren Früchten sollst du sie erkennen

Brennend oder nicht, woher kommt dieser Baum? Was hat er mit Weihnachten zu tun? Und was mit Christi Geburt? Oder wenigstens mit Christus? Das fragte sich wohl auch der deutsche Schriftsteller Marx Möller, der im späten 19. Jahrhundert das Gedicht „Die Legende vom Tannenbaum“ schrieb. Es beginnt mit den Zeilen: „In der Bergpredigt, wie bei Matthäus zu lesen, ist auch von Bäumen die Rede gewesen.“
Tatsächlich steht dort, im siebten Kapitel: „Ein jeglicher Baum bringt gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt arge Früchte.“ Also möge man, so Jesus, Bäume, die keine guten Früchte bringen, fällen und ins Feuer werfen. Möller machte daraus einen Streit zwischen diversen Gewächsen, wen denn dieses Urteil treffe. Die Feigen und Trauben verhalten sich im Wortwechsel ziemlich arrogant, die Disteln argumentieren, dass sie immerhin den Eseln schmecken. „Nur ein zierlicher Tannenbaum stand verschüchtert, rührte sich kaum.“ Denn: „Er wusste nur Tannenzapfen zu tragen.“ Also macht er sich mitsamt den Wurzeln auf den Weg, um den Heiland zu suchen und um Gnade zu bitten. Tatsächlich findet er ihn, und Jesus hält ihm eine Rede, die die zweite Hälfte des Gedichts füllt: Jeder Fluch enthalte einen Segen und jeder Segen einen Fluch, heißt es darin. Der Tannenbaum habe aus dem Fluch einen Segen gemacht. Daher ordnet Jesus an: „Mein lieblichstes Fest sollst du lieblich verschönen! Du bist von allen Bäumen hienieden der gesegnetste! Zieh hin in Frieden.“ Eine hübsche Legende, die an die Redensart heutiger Bohemiens erinnert, sie suchten sich stets den unscheinbarsten, womöglich schief gewachsenen Baum für Weihnachten aus, weil er ihnen leidtue.
Gleich zwei Bäume spielen eine zentrale Rolle im ersten Buch Mose, in der Geschichte, auf der Christen die Lehre von der Erbsünde gründen: der Baum der Erkenntnis (des Guten und Bösen) und der Baum des Lebens. Von jenem dürfen Adam und Eva nicht essen; von diesem würden sie auch essen, nachdem sie von jenem gegessen haben, fürchtet Gott – und wirft sie aus dem Paradies. Es steht zwar nicht, welche Bäume das waren, doch die abendländische Tradition machte Apfelbäume daraus. Und in diesem Sinn gab es schon im Mittelalter den Brauch, am 24. Dezember – der ja der Gedenktag von Adam und Eva ist – einen Baum mit Äpfeln zu behängen. Die man dann schon essen durfte, dank Jesus, der die Menschen von der Erbsünde befreit und damit auch die Äpfel der Erkenntnis enttabuisiert hat.

Erster Christbaum in Wien: 1814

Wann daraus ein „richtiger“ Weihnachtsbaum, also ein immergrüner Nadelbaum wurde, ist unklar. Die Freiburger behaupten, sie hätten schon 1419 einen Christbaum aufgestellt, der erste schriftliche Beleg ist aus dem Jahr 1527, aus Stockstadt am Main. Zuerst setzte sich der Brauch in evangelischen Regionen durch, erst später in katholischen. Der erste bezeugte Weihnachtsbaum in Wien stand vor zwei Jahrhunderten, 1814, im Salon von Fanny von Arnstein, einer jüdischen Gesellschaftsdame: Sie hatte den Brauch aus Berlin mitgebracht. Unterm Baum wurden von einer großen Schar zumeist adeliger Gäste „nach Berliner Sitte komische Lieder gesungen“, wie's in einem von Hilde Spiel tradierten Bericht heißt.
Komische Lieder unterm Weihnachtsbaum: Da kann man an den närrischen Christian Buddenbrook denken, der die Kinder zum Lachen bringt, indem er „O Tantebaum“ statt „O Tannenbaum“ singt. An das eingangs erwähnte Artmann-Gedicht. Oder an Georg Kreislers – allerdings eher tragikomisches – Lied vom Weihnachtsmann auf der Reeperbahn. Dass das Komische so gut zum Feierlichen passt, liegt wohl daran, dass es dessen Diktat relativiert, dass es die Verkrampfung lockert, die entsteht, wenn alle möglichst traut und besinnlich sein wollen. Weihnachten ist, wenn man trotzdem lacht.

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