Die Dezember-Rushhour

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Weihnachtsfeiern, Geschäftsabschlüsse, noch einmal möglichst alle Freunde und Bekannten treffen. Mit dem Advent breitet sich bei manchen von uns eine gewisse Jahresendzeitpanik aus.

Falls Sie angenommen haben, dieser Text werde eine jener „Weihnachten ist grässlich“- oder „Der Advent ist furchtbar“-Tiraden, dann versichern wir sofort: Nein, darum soll es hier nicht gehen. Was sich aber nicht leugnen lässt, ist die Tatsache, dass der letzte Monat des Jahres für viele Menschen als der unangenehmste, weil ereignisreichste gilt. Mit dem herannahenden Weihnachtsfest hat das allerdings weniger zu tun als man annehmen möchte. Die Jahresendzeitpanik, die manche verspüren hat mit dem natürlichen Kreislauf des Jahres zu tun. Wenn etwas zu Ende geht, will man es ordentlich abschließen.

Nur muss man das genau zu jener Zeit zu tun, in der ohnehin sehr viel, zu viel los ist. Da sind einerseits die klassischen Begleiterscheinungen von Nikolo und Weihnachtsfest. Im Durchschnitt ist jeder berufstätige Mensch bei mindestens fünf Weihnachtsfeiern eingeladen, die Einladungen zu Adventsingen und Krippenspielen der Kinder noch gar nicht mit eingerechnet. Was für die Amerikaner Thanksgiving ist, ist für die Österreicher das Nikolo- und Krampus-Fest, weil es in vielen Gegenden mit liebevollen Zeremonien für die Kinder und/oder ausschweifenden Krampus-Umzügen begangen wird. Dazwischen wollen Advenzkränze gebunden, Kekse gebacken, Geschenke organisiert, Weihnachtslieder geübt, Tischschmuck gebastelt, das Silvesterprogramm geplant werden.

Doch das allein verursacht keine Panik, schlimmer sind reale Zwänge und der selbst auferlegte Druck, im alten Jahr noch möglichst viel von dem abzuarbeiten, was liegen geblieben ist. Der Steuerberater ordert jetzt gern noch fehlende Unterlagen für die Steuererklärung des Vorjahrs, Budgets für das kommende Jahr müssen finalisiert, Verträge oder Kaufabschlüsse unterschrieben werden. Vor allem in diesem Jahr haben viele Notariats-, Steuer- und Anwaltskanzleien besonders viel damit zu tun, Vermögen zu überschreiben, da sich ab 2016 die Sätze bei Schenkungen und Vermögensübertragungen empfindlich erhöhen. Der alte Spar-Spruch „Am 32. 12. ist es zu spät“ mag manche beunruhigen. Dabei ist es im neuen Jahr im Grunde für (fast) nichts zu spät.

Dazu kommt die in diesen Tagen oft gehörte und viel benutzte Aufforderung: „Lass uns doch noch einmal treffen.“ Es ist erstaunlich, wie viele Menschen das Gefühl haben, noch im alten Jahr ihre Sozialkontakte intensivieren zu müssen. Dabei könnte man das nächste Treffen ebenso für den wirklich ruhigeren Jänner vereinbaren und den Bekannten zurufen: "Bitte nicht vor Weihnachten". Das mag einerseits daran liegen, dass man zu Weihnachten und Neujahr nur mehr Zeit für die Kernfamilie und die engsten Freunde haben will, gar für längere Zeit wegfährt und davor sein Gewissen erleichtern will. Die klinische Psychologin Patricia Göttersdorfer hat aber noch eine andere Erklärung: „Die Winterzeit war früher in der Landwirtschaft die ruhigste Zeit des Jahres und eine Zeit, in der nicht so viel zu tun war.“ An langen, frostigen Abenden konnte man also das Dorf- und Familienleben intensivieren und gemeinsam Bilanz des zu Ende gehenden Jahres ziehen. Der Wunsch, am Jahresende noch möglichst viele Freunde zu treffen, rührt allerdings auch daher, dass Freundschaften heute einen höheren Stellenwert haben als früher.

Von der ruhigsten Zeit des Jahres ist jedenfalls nicht mehr viel übrig. Seit genau zwanzig Jahren dürfen Geschäfte auch am 8. Dezember, dem Feiertag Mariä Empfängis offen halten. War das damals eine Initiative, um rechtzeitig vor dem Heiligen Abend das Weihnachtsgeschäft anzukurbeln und Angestellten, deren Betriebe an diesem Tag geschlossen bleiben, einen zusätzlichen Einkaufstag zu schenken, wird seit einigen Jahren von manchen Kaufleuten bewusst gegengesteuert. Immer mehr Händler lassen ihr Geschäft an diesem Tag geschlossen, allerdings auch deshalb, weil sich der 100-Prozent-Feiertagszuschlag und Zeitausgleich für die Beschäftigten bei manchen nicht rechnet.

Sommer- statt Weihnachtsfest

Aber auch andere Unternehmen und Institutionen steuern gegen die Dezember-Rushhour und verlegen etwa ihre großen Jahresfeste lieber in den ruhigeren Frühling oder Sommer. Manche Firmen haben das Ende ihres Geschäftsjahrs bewusst in den April gesetzt. Natürlich ist das für manche Branchen nicht machbar. Für Handel, Friseurgeschäfte und die Hotellerie ist der Dezember eine der, wenn nicht die stärkste Zeit des Jahres. Notgedrungen bleibt Menschen, die in diesen Feldern tätig sind, in dieser Zeit kaum die Möglichkeit, nebenbei noch etwas anderes zu tun. Das kann allerdings sogar ein Vorteil sein: Wer weiß, er schafft nebenbei wirklich gar nichts anderes, deckt sich erst gar nicht mit zusätzlichen Verpflichtungen ein.

Psychologin Patricia Göttersdorfer sagt, schuld an der grassierenden Jahresendzeitpanik ist unsere Definition von Zeit. „Das Jahresende erinnert an die Dinge, die man sich schon seit Jänner vorgenommen hat.“ Das auslaufende Jahr vermittle uns die Illusion, dass die Zeit generell weniger werde, und das Jahresende bilde eine natürliche Deadline, die wir sogar brauchen. „Ohne Deadline würden wir vermutlich nicht so gut leben.“


Das „schönste Fest“. Und ein bisschen schuld ist Weihnachten natürlich schon an dem inneren Druck, den sich Eltern oder Paare machen. Durch Fernsehen, Werbung und festlich (oder auch nur kitschig) geschmückte Innenstädte wird eine Erwartungshaltung an das Weihnachtsfest gestellt, die viele gern erfüllen möchten oder auch erfüllt bekommen haben wollen. Ab Mitte November wird die Öffentlichkeit von allen Seiten mit Superlativen zum „schönsten Fest des Jahres“ überlagert. Je älter man wird, desto weniger nimmt man diese Formulierungen noch wahr oder wörtlich und legt sie in der Schublade für platten Marketingsprech ab.

Das Schenken wird nicht in allen, aber in vielen Familien immer wichtiger. „Je weniger Kinder man hat, desto höhere Erwartungen hat man an solche Ereignisse“, sagt Göttersdorfer.

Was kann man also tun, um nicht jedes Jahr in dieselbe Panik zu verfallen und mit hängender Zunge unter dem übertrieben aufwendig geschmückten Weihnachtsbaum anzukommen? Das muss im Grunde jeder selbst wissen. Es bringt nichts, auf den Charles-Dickens-Effekt zu vertrauen und zu denken, dass man sich ausgerechnet während der Adventzeit wie Ebenezer Scrooge durch Geisterhand zu einem anderen Typus Menschen wandelt, der nun etwa nicht mehr von A nach B hetzt und tief entspannt bei Kerzenschein dicke Bücher liest. Wer gern viel unter Leuten ist und Sozialkontakte braucht, wird das auch in dieser Jahreszeit tun. Wer lieber möglichst viel daheim ist und die Zeit zur Einkehr nützt, tut ohnehin schon das für ihn Richtige. Was auf jeden Fall ratsam ist: das Jammern und Meckern einstellen. Auch gegenüber anderen. Im Grunde wissen wir, dass es zu dieser Zeit „eigentlich eh allen“ gleich geht, man muss das nicht auch noch ständig betonen. Einer dieser etwas abgedroschenen Sprüche, die man Buddha zuweist, wird manche auf die Palme bringen, andere zur Einsicht: „Du solltest täglich 20 Minuten meditieren, außer wenn du Stress hast und keine Zeit, dann sitze eine Stunde.”

Letztlich können Panik und Hektik aber auch etwas Gutes haben, denn sie führen dazu, dass sich der Mensch aufrafft, gewisse Dinge zu tun. Meistens sind das ohnehin jene, die ihm wichtig sind. Für alles andere hat er das nächste Jahr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2015)

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