Die Revolution und ihre Sitzheizung

Ob der Mazda MX-5 in seiner dritten Generation noch für eine Revolution gut ist, testete Musikjournalist Walter Gröbchen, unser Mann mit luftiger Roadster-Vergangenheit.

Ein guter Tag beginnt nicht mit einem Nulldefizit, wie unser Noch-Finanzminister zu schwadronieren beliebt. Im Gegenteil. Ein guter Tag beginnt mit einem ordentlichen Minus auf dem Konto. Und „Crazy“ von Gnarls Barkley im Autoradio, wenn man den Zündschlüssel dreht und sich das Pumpen der Musik mit dem Pumpern deines Herzens und dem Saugen, Schmatzen und Grummeln des Motors zum ersten Rendezvous trifft. Natürlich nur theoretisch. Praktisch kann man sich 31.390 Euro sparen, wenn man eh bloß einen Testritt im Sinn hat. Aber die Gefahr, picken zu bleiben und die Ouvertüre eines solchen Tages mit Gedankengängen über Zweitgaragen und die Vorteile von Leasinggeschäften für Kleinunternehmer fortzusetzen, die ist nicht geringzuschätzen. Eventuell lässt sich aus der ungeordneten Abfolge von Sinneseindrücken, Seelenjuchzern und klaren, rationalen Momenten auch eine probate Privatideologie basteln.

Ein herrlich pragmatischer Lebensentwurf: Da uns das Autohaus Grasser sowieso niemals eins dieser protzschwangeren XK-Cabriolets vor die Haustür stellen wird, verknallen wir uns gleich und ganz in ein halbwegs leistbares quasiproletarisches Geschoss. Ohne Dach überm Kopf. Dr. Strangelove, oder wie ich lernte, den japanischen Volkssportwagen zu lieben. Oder so ähnlich. 

Tatsächlich hat mich die MX-5- Sucht schon bald ereilt, in den frühen Neunzigern. Ich fuhr damals einen ziemlich verbeulten Fiat Spider, Kalifornien-Re-Import, der Rostpartikel als Treibstoff nutzte und irgendwie eh ganz lässig, in Wahrheit aber eine Gurke war. Ich meine, nur vom Aussehen – Pininfarina sei mir gnädig – lebt der Mensch nicht allein. Gelegentlich verlangt einen auch nach schnöder Alltagstauglichkeit. Als ich irgendwann mit gebrochener Halbachse liegenblieb, keine siebzig Kilometer, nachdem ich die Fiat-Moser- Werkstätte in der Jörgerstraße hinter mir gelassen hatte (der Wagen fühlte sich dort wohler, ich ließ ihn dann da), steuerte ich schnurstracks einen Mazda-Händler an. Da gab es seit kurzem dieses rundliche Ding, mit einem ziemlichen Steißarsch von der seitlichen Linienführung her, aber doch recht grazil und adrett. Und: Klappscheinwerfer!

Die Werbung versprach südländische Eleganz und britisches Flair längst vergangener Roadster-Legenden vom Format eines MGB, Lotus Elan oder Alfa Spider. Und man musste kein Mechaniker mehr sein, um solch ein Fahrzeug besitzen und auch bewegen zu können. Um die Suada abzukürzen: Die Reklameabteilung hielt, was sie versprach. Selten hat mir ein fahrbarer Untersatz so viel Spaß gemacht. Auch wenn ältere Kolleginnen den MX-5 mit leicht pikiertem Augenaufschlag partout „Corvetterl“ nannten oder zur Abwechslung auch „silbernes UFO“, blieb die spartanische Heckschleuder (von elektronischer Traktionskontrolle konnte noch keine Rede sein, das Ding hatte nicht mal Airbags) mein kleiner Liebling. Ich lernte, Bierkisten im Innenraum zu stapeln, Familienausflüge für Mikro- Patchwork-Konstellationen zu planen (und wieder zu verwerfen), und sogar die seltsame Verkrümmtheit eines Ein- Meter-86-Mannes unter geschlossenem Verdeck in der ersten Reihe vor einer Ampel fand ich irgendwie charmant. Ich wusste mich nicht allein: Von Dezember 1988 bis Oktober 1997 wurden von der ersten Serie des MX-5 ganze 433.963 Einheiten (welch schnödes Wort) produziert. Das propere Nischenmodell tauchte bald auch im Guiness Buch der Rekorde auf, als meistverkaufter Roadster aller Zeiten. Dass ich mein höchstpersönliches Exemplar im Sommer Â’04 mit Tachostand hundertzwanzigtausend und einer nicht mehr existenten Zylinderkopfdichtung nah der Autobahnraststätte Michendorf bei Berlin parkte, ist vielleicht nicht das glücklichste Ende einer Romanze.

Aber es war nicht das ultimative Ende, das dachte, fühlte, wusste ich. Ich ahnte, dass der silberne Gefährte mit den Schlafaugen nicht, wie vom ostdeutschen Autoverwerter verkündet, unter die Schrottpresse kam. Sondern in Polen sein Dasein fristet oder in Kasachstan, als unkaputtbarer Sendbote westlicher Dekadenz. Ade, unteurer Freund! Im Juni dieses Jahres, nachdem der vom Kalender seit Wochen verkündete Sommer letztlich doch mit schier unsäglicher Brutalität seine Existenz demonstrierte, musste ein neues Fluchtfahrzeug her. Und, man mag es drehen und wenden, wie man will, um der Hitze zu entfliehen und dem Büro und der eigenen alltagstrotteligen Existenz, dafür taugt nun mal kein Kombi mit Schiebedach und Kindersitz oder Kompaktvan mit Klimaautomatik. Ein neuer MX-5 musste her. Ich hatte gelesen, dass die dritte Generation des Amateursportwagens nun auch mit neumodischem Blech-Falt-und- Klapp-Dach zu bekommen wäre. Also nix mehr mit Stoffmütze samt vergilbtem und zerkratztem Plastikheckfenster (das hatte schon die zweite Generation gegen Glas eingetauscht, war dafür aber der Klappscheinwerfer verlustig gegangen). Doch derlei war beim Importeur noch nicht vorrätig. Egal. Auch ein schnöder MX-5 2,0i „Revolution“ in Galaxygrau sollte es tun. Revolution? Dass sich derlei nicht mit Sitzheizungen und Chromdekor und Scheinwerferreinigungsanlagen samt Füllstandsanzeige verträgt, wusste schon John Lennon zu besingen. Für Wohlstands- Hiphop-Anarchos darf es sogar feinstes Leder sein. Crazy, aber geschmeidig.

Der Innenraum des neuen MX-5 hat ein wenig Raum zugelegt und verträgt sich jetzt besser mit Schmerbäuchen und Mittlebens- Krisen. Wo vorher dezidierte Bauhaus- Kargheit herrschte, platzen nun Plastikrohre und -wülste aus Aluminiumimitat aus dem Armaturenbrett. Trinkbecherhalter, wo bislang nichts war. Ein Windschott. Sechsganggetriebe. Sogar Klavierlack. Die Soundanlage von Bose macht namentlich einiges her, klingt aber leider nur halb so gut. Aber vielleicht hat ja auch nur das eigene Gehör gelitten unter der jähen Beschleunigung des Daseins. Mit 160 PS bei nur mäßigster Gewichtszunahme, da geht deutlich mehr weiter als in der 115-Pferdestärken- Erstausgabe. Alles in allem ist der Neue dieselbe Instant-Sex-Pistole geblieben wie der alte MX-5. Ein Wort nur zum Design: Ja, es ist eine Kunst, sich ständig frisch zu erfinden und dabei doch seinen Wesenskern nicht zu verlieren. Ganz bin ich mir noch nicht sicher, ob das Peter Birtwhistle, Chef des europäischen Mazda-Designstudios in Oberursel (wo gemeinsam mit Kollegen in Los Angeles und Yokohama der heutige Look entstand), wirklich stimmig hingekriegt hat. Wir leben ja in einer Zeit (und Autodesign sagt eine Menge darüber aus), die mehr und mehr ins Paranoid-Militaristische kippt. Man muss, um derlei zu konstatieren, keinen Hummer betrachten.

Es genügt der Blick aus den Schießscharten eines Audi TT oder Chrysler 300 C oder gar Crossfire (sic!). Die Zierlichkeit und Leichtigkeit der sechziger Jahre, immer noch die Referenz für sportliches Laisserfaire, ist einer groben Klobigkeit und Klotzigkeit gewichen. Unter 17-Zoll-Felgen im Streitwagendesign geht nichts mehr. Auch der Mazda fordert lauter denn je „Platz da!“ mit einem großmäuligen Haifisch- Frontverlauf. Sorry, aber da fallen meine Sympathien mehr Pininfarina zu als Mad Max. Und wahrscheinlich würde ich mich, unter uns, eher für das billigste Modell entscheiden, das der Basic-Sports-Car-Idee um knapp 10.000 Euro weniger viel näher kommt. Ich meine, wer braucht schon Xenon-Scheinwerfer, diese dem gemeinen Volk ins Auge stechenden Laserschwerter für die Upperclass? Einen Sechsfach-CDWechsler (obwohl, von iPod haben sie auch schon was klingeln hören bei Mazda). Oder ein „LSD-Sperrdifferenzial“? John Lennon hätte bloß die Augen gerollt und „Lucy In The Sky With Diamonds“ vor sich hin gepfiffen. Crazy. Aber irgendwie auch ganz vernünftig.

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