China: Das gelobte Land der unverdrossenen Autokäufer

China gelobte Land unverdrossenen
China gelobte Land unverdrossenenBentley
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Geld ist vorhanden, und der Appetit auf luxuriöse Westmarken ist riesig im größten Automarkt der Welt.

Bentley kommt seiner Kundschaft gern entgegen. Vielleicht nicht so sehr beim Preis, aber beim ganzen Drumherum – man darf das bei einer Marke, deren Autos ja einen Hauch mehr kosten als andere, wohl auch erwarten.

So wählte die glamouröse britische Volkswagen-Tochter die chinesische Hauptstadt Peking, um ihr neuestes Produkt der Weltpresse (und vielen staunenden Chinesen auf den Straßen) vorzuführen.

Der Bentley Flying Spur ist mit 5,3 Metern Länge ein mehr als nur stattliches Auto, und mit einem Zwölfzylinder, dem auch noch zwei Turbolader Beine machen, ist er gewiss ordentlich motorisiert.

Die neue Generation des Flying Spur, die im englischen Werk in Crewe gefertigt wird, sollte sich in dem Land wie zu Hause fühlen: Erstmals hatte man in der Entwicklungsphase die Technik ganz gezielt den herausfordernden und wechselhaften Bedingungen in China angepasst. Die Klimaanlage und das Kühlsystem des mächtigen W12 unter der Motorhaube werden auch mit vielen Stunden im Stau bei brütender Hitze fertig, die Luftfilter sind sandsturmerprobt, und den Motor bringt minderwertiger Sprit, wie er außerhalb der großen Städte vornehmlich ausgeschenkt wird, nicht gleich um.

Chinesen am Steuer

Das Fahrwerk mit adaptiver Luftfederung vermag schlechte Straßen vornehm zu glätten, die Steuerelektronik hat Höhentrainings absolviert, und für die Fahrzyklen ließ man chinesische Fahrer ans Lenkrad, weil, so der Hersteller, die einfach anders Auto führen als wir im Westen.

Und schließlich verrät schon ein flüchtiger Blick auf den steil aufragenden, massiven Kühlergrill zwischen den wie Geschmeide funkelnden Scheinwerfern, dass es der Besitzer geschafft hat – dass er sich aus der drängenden und raufenden Menge emporgekämpft hat, um nun im großzügigen Fond, umgeben von nichts als Edelhölzern und feinstem Leder, den exquisiten Komfort eines Bentley (und vielleicht ein Glas Champagner aus dem eingebauten Kühlschrank) unbehelligt zu genießen.

Dergleichen kommt gut an bei Chinas Reichen. Vom Vorgänger setzte Bentley noch 2012 mehr als die Hälfte der Produktion im Land ab, vom Neuen sollen es nicht weniger als 60 Prozent sein.

Damit geht es der Marke ebenso wie den anderen Edel-, Premium- und Luxusherstellern – die meisten aus Europa: China ist zum wichtigsten Absatzgebiet geworden, ohne dessen Nachfrage sähen die durchwegs erfreulichen Bilanzen anders aus. Im größten Automarkt der Welt wurden in den ersten vier Monaten des Jahres 5,86 Millionen Pkw verkauft, für das gesamte Jahr erwartet man sich ein Plus von mindestens zehn Prozent zum Vorjahr.

Während sich Hersteller aus Europa, Südkorea und den USA den Markt im Wesentlichen aufteilen, verlieren chinesische Marken zunehmend an Boden. Ihr Anteil ist zuletzt unter ein Viertel gesunken, und einigen Anstrengungen der Regierung zum Trotz gibt es keine Anzeichen, dass sich die Talfahrt aufhalten ließe.

Zulassungslotterie

China-Marken gelten nichts im eigenen Land, wer es sich irgendwie leisten kann, kauft Audi, BMW, VW oder zumindest Hyundai und Kia. Vom großen Geld ganz zu schweigen: Luxusmarken können in den nächsten Jahren mit noch weitaus größeren Zuwächsen rechnen als westliche Massenhersteller.

Nicht, dass man die 625 PS des Flying Spur auch nur annähernd ausspielen könnte auf Pekings Straßen. Oft käme man mit einem Fahrrad schneller voran.

Doch Fahrräder sieht man kaum noch im Gewühl der Großstadt, die laut Prognosen bald von sechs Millionen Autos durchpflügt werden wird – trotz der staatlichen Drosselung auf 20.000 Neuzulassungen, die im Losverfahren zugeteilt werden. Für jeden Pkw (eines gemeinen Bürgers, wohlgemerkt) besteht an einem Werktag der Woche Fahrverbot, das an die Endzahl im Kennzeichen gekoppelt ist. Heavy dürften Wochenenden und Feiertage sein, an denen zudem die Gebühren entfallen und der stolze Pekinger Autobesitzer aus der Stadt zu flüchten versucht.

In der Momentaufnahme zeigt sich das Szenario auf den Straßen aber weniger apokalyptisch, als man annehmen möchte. Der Pkw-Bestand ist mindestens so modern wie in Europas Städten. Alte Giftschleudern sind aus dem Verkehr gezogen, mit den Abgasnormen ist man verglichen mit Europa nur geringfügig im Rückstand – tatsächlich empfindet man die Luftqualität auf intensiv befahrenen Straßen oft besser als bei uns zu Hause, da in China praktisch keine Diesel-Pkw verkehren.

Was den Smog bringt

Was jedoch die Sonne trübt und bei bestimmten Wetterlagen fast unerträglichen Smog in die Stadt trägt, ist der Hunger nach Energie, der im Großraum Peking überwiegend durch kalorische Kraftwerke gestillt wird. 29 Millionen Tonnen Kohle werden allein für Pekings Strombedarf jedes Jahr verheizt, und auf den Autobahnen rund um die Hauptstadt sieht man, woher sie kommt: nicht enden wollende Züge von Lkw aus den Abbaugebieten, randvoll befüllt, machen sich zuweilen einen Spaß daraus, alle Spuren zu blockieren.

Da lässt sich die Motorgewalt des dicken W12 unter der Haube des Flying Spur dann doch noch zweckmäßig einsetzen, um in Lücken zu stoßen, Asphalt zu erobern und mit gediegener Vehemenz das Land zu gewinnen.

Auf einen Blick

Gelobtes Autoland. Allein im April dieses Jahres wurden in China über 1,34 Mio. Pkw verkauft, in den ersten vier Monaten waren es 5,86 Mio. Die Pkw-Absätze dürften 2013 um zehn Prozent zulegen: China hat die USA als größten Automarkt der Welt nachhaltig abgelöst.

Chinesische Marken verlieren derweil an Bedeutung, ihr Marktanteil fiel zuletzt unter 25 Prozent. Begehrt sind westliche Marken, die den Luxusmarkt beherrschen.

Bentley wählte Peking für die Präsentation des neuen Flying Spur, eines Viertürers mit 625 PS.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2013)

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