Sintra: Schinkel-Schinken und Maurenkuppeln

Deutscher Neo-Klassizismus aufgepeppt mit islamischer Architektur: Das Ergebnis heißt Pena Palace, die Sommerresidenz der Könige Portugals in Sintra.

Draußen weht eine leichte Brise. Der Blick vom Schlosshof schweift über Wälder, Sintra in der Tiefe und das Meer in der Ferne. Drinnen ist jeder Tag ein Herbstabend: Ist das Ankleidezimmer der Königin mit Badewanne und Kamin, Waschtisch und Frisierkommode noch halbwegs übersichtlich eingerichtet, drängen und türmen sich hinter dem mit dunklem Damast tapezierten Wohnzimmer Sessel, Stühle, Sofas, Chaiselongues, Beistelltischchen, Schränke, Regale und Bücher.

Von unverstelltem Raum hielt man nicht viel bei „Königs“. Wo noch ein paar Quadratzentimeter frei sind, stehen Stickrahmen, Schüsseln, Bilder und Kerzenhalter herum – Portugals Monarchen verbrachten ihre Sommerfrische im Palacio de Pena unbelastet von Überlegungen über frei fließende Energieströme.

Bis zur Geburt der Republik Portugal im Oktober 1910 war das vollgestopfte Königsschloss bewohnt, Königin Amélia residierte bis zu ihrer Flucht nach Brasilien in Pena. 1912 begann der Palast sein neues Leben als Museum. Seit der Ausrufung der Republik gilt: Nationale Denkmäler müssen der Öffentlichkeit zugänglich sein. Manch historisches Gemäuer öffnet sich demokratisch jedem, der bezahlt: als Hotel. Die „Fortaleza do Guincho“ etwa, eine 1642 erbaute Festung, die bei Cascais über dem Strand thront. Früher sollte sie die Küste schützen, heute blicken die Restaurantgäste auf Surfer, die mit der Brandung kämpfen.

Das Sommerschloss in Sintra, ein Juwel in der Krone der Republik, ist zu wertvoll für so profanen Nutzen. Viele Originalmöbel kehrten aus dem brasilianischen Exil zurück nach Sintra, andere Interieurs wurden rekonstruiert – bis heute wird sortiert, welches Stück welchem Haus zuzuordnen ist. Esszimmer, Ballsaal und die königlichen Schlafgemächer des Palastes sind authentisch hergerichtet.

Inspirationsquelle Alhambra

Ferdinand von Sachsen Coburg Gotha, als Gatte von Königin Maria II. Dom Fernando II. geheißen, kaufte die Ruine einer maurischen Burg und das Kloster aus dem 16. Jahrhundert auf dem Berg daneben. 1840 war das Kloster zum Sommersitz umgebaut: ein verspieltes Familienschloss für die heißen Monate, komponiert aus maurischen Bögen, Brunnen und bunten Kacheln, schattigen Patios, runden Kuppeln, spitzen Zinnen, roten und sonnengelben Türmen, ein lebhafter Kontrapunkt zum traditionellen Sommersitz der Monarchen, dem Paco Real im Zentrum von Sintra.

Inspiriert war der bunte Stilmix des deutschen Architekten Wilhelm Baron von Eschwege sowohl von der Alhambra in Granada als von den Schinkel-Schlössern in Deutschland. Die um einen Kreuzgang angeordneten, recht kleinen Räume des älteren Gebäudeteils erinnern hingegen an die ursprüngliche Bestimmung der klösterlichen Mauern.

Ferdinand, ein Mann von Bildung und Vermögen, hatte viel Tagesfreizeit. Er ließ Bäume aus der ganzen Welt kommen, baute Pavillons für den Park und legte verträumte Seen an. Der Palacio de Pena war das erste portugiesische Königsschloss mit einem Bad: Neben der Duschwanne stehen ein mit blauen Blumen bemaltes Bidet und eine Chaiselongue, falls Seine Majestät nach dem Bad abschlaffte.

Das Esszimmer im einstigen Refektorium sieht aus, als würde die königliche Familie minütlich zum Lunch erwartet: Ein blütenweißes Tischtuch liegt auf, die Tafel ist mit schwerem Silber, feinem Porzellan und sechs verschiedenen Gläsern eingedeckt. Der Saal ist bis unter die Decke mit portugiesischen Kacheln ausgekleidet. Die Königskinder konnten missliebige Speisen an die Wand katapultieren, ohne Schaden anzurichten. Nur die offenen Schränke mit reichlich Geschirr rauben die Illusion vom fortdauernden Leben auf dem Schloss: Sie wirken, als wäre ein Gerichtsvollzieher im Begriff, den royalen Besitz zu sondieren.

In Wahrheit dient der Effekt der Unterhaltung der Besucher. Sie dürfen ihren Ex-Monarchen in die Schränke schauen, bevor sie ihre Kapelle besuchen, das Atelier des begeisterten Malers Carlos I. betrachten, der 1889 bis 1908 regierte, und schließlich den neueren Teil des Palastes mit seinen größeren und helleren Räumen bewundern. Der Ballsaal ist so vollgestopft wie die meisten anderen Räume: Sofas und Sessel unter einem riesigen Leuchter, Bücher überall. Der Flügel voller Familienfotos beweist, dass dies ein privates Ferienhaus war, kein Ort für Staatsempfänge.

Einmal jenseits und retour

Trotzdem folgte der ersten Familie des Landes eine Horde Aristokraten, Musiker und Künstler, die sich Aufträge erhofften, und Kaufleute, die hochpreisige Waren zu veräußern hatten. Urlaubsreif waren sie sowieso alle. Sintra war ja so schön und so grün, und das Klima so viel angenehmer als in der sommerlichen Hauptstadt. Der Adel vertrieb sich die Zeit mit der Jagd, Spaziergängen und mit Affairen, Dichter wie der durchreisende Lord Byron begeisterten sich über „glorious Eden“ und notierten ein paar Verse.

Die Parkplatzprobleme von heute waren unbekannt, der Zauber Sintras ist dennoch geblieben. Der Nebel am Morgen, die Wälder, die schönen spitzgiebeligen Villen, der verträumte Park Monserrate und das im Wald versteckte Kloster Capuchos verleihen der „Kulturlandschaft Sintra“, seit 1995 auch Unesco-Weltkulturerbe, weltferne Atmosphäre. Noch immer leben Schriftsteller und Künstler hier, wer es sich leisten kann, kauft sich ein Sommerhäuschen in Sintra.

Der Brasilianer Antonio Monteiro, der mit Kakao und Kaffee ein Vermögen gemacht hatte, ließ zwischen 1904 und 1911 in Sintra ein altes Landgut mit Hilfe des italienischen Architekten und Wagner-Fans Luigi Manini ins Haus seiner Träume verwandeln: die Quinta da Regaleira, eine Opernkitschkulisse mit Zinnen und Türmen. Aus Grotten, Höhlen, einem Brunnen, Seen und einem 27 Meter tiefen, umgekehrt in den Berg versenkten Turm mit zwei steinernen Drehtüren am Ausgang zu ebener Erde entstand ein Kosmos nach Vorbild von Dantes Göttlicher Komödie: von der Hölle, einer Höhle im verschatteten Wald, geht es den Läuterungsberg in Form des Turms hinauf an die Schwelle des irdischen Paradieses mit Blick in den Himmel.

Eine Jenseitsreise im eigenen Garten als exzentrischer Scherz? Der Guide bleibt die Antwort schuldig. Die Suche nach Läuterung und Licht in Dantes Werk wird mit den Freimaurern in Verbindung gebracht. Dass Monteiro einer Loge angehörte, ist nicht bewiesen. Man weiß, dass er Monarchist war, während Freimaurer der Republik näher stehen. Sein Haus gibt wenig Antworten. Wand- und Deckenmalereien sind erhalten und präsentieren die portugiesischen Könige aus der Glanzzeit des Weltreichs. Von Monteiros Habe hat fast nichts überdauert. Der Brasilo-Portugiese starb 1920, sein Sohn verkaufte das Anwesen 1946. Erst 1997 wurde die Quinta als Denkmal eingestuft. Vom Tennisplatz blickte man früher auf die Burg und den Palácio de Pena. Heute sind alle Aussichten überwuchert.

Inline Flex[Faktbox] MÄRCHENBURG("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2007)

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