Yazd: Also schwieg Zarathustra

Von Sandstürmen, Feuertempeln und den letzten Zoroastriern in der iranischen Wüstenstadt Yazd und ihren Türmen des Schweigens.

INFO

Eigentlich war nur ein Tag Aufenthalt vorgesehen. Als Etappe zwischen Shiraz und Isfahan. Doch dann kam der Sandsturm, ein für uns Nordländer extrem überwältigendes Naturereignis. Besichtigungen? Unmöglich. So wurden es zwei Tage, dann drei und schließlich eine ganze Woche in Yazd, der persischen Wüstenstadt mit dem seltsam einschmeichelnden, aber bestimmt klingenden Namen. Einer Oase im wörtlichen und im übertragenen Sinn: weil man, aus der Verkehrshölle auf Erden, aus Teheran, kommend sofort eine andere ungezwungenere Atmosphäre spürt. Hier im Süden, zwischen den Wüsten Dascht-e Kavir und Dascht-e Lut, scheint alles lockerer, ein wenig liberaler und entspannter. Nicht umsonst stammt der letzte „reformistische“ Präsident des Iran, Mohammed Khatami, von hier – übrigens auch Israels Expräsident Mosche Katzav. Khatami ist es auch zu verdanken, dass in Yazd Unmengen von Hotels und Bed-&-Breakfast-Unterkünfte eröffnet wurden, die jetzt allerdings zur Hälfte leer stehen, da unter seinem Nachfolger der Tourismus wieder zusammenbrach.

Endlich Sonne statt Sandwolken. Nun gelingt es, die Hauptattraktionen der Wüstenstadt zu besichtigen: die Freitagsmoschee – beeindruckend in ihrer raffinierten Mischung aus nackten Lehmziegeln und überornamentierten Fliesenmosaiken, die Windtürme auf den alten Lehmbauten Yazds – ökologische Klimaanlagen avant la lettre, die Qanats – ein geniales antikes Bewässerungssystem, das Wasser aus weit entfernten Bergen in unterirdischen, belüfteten Kanälen heranschafft, die Altstadt, ihre engen, überdachten Gassen, in der heute vor allem afghanische Flüchtlinge ausharren, und den zarathustrischen Feuertempel natürlich.

Seit frühester Jugend von der archaischen Anmutung des Zoroastrismus fasziniert, hatte ich wiederholt versucht, Zutritt zu dessen Kultstätten in Indien zu erlangen. Keine Chance. Zoroastrier, in Indien Parse genannt, ist man oder ist man nicht. Dazu wird man geboren. Beitritt ausgeschlossen. Geheiratet wird nur untereinander, was zu Sichelzellenanämie und anderen inzestbedingten Krankheiten führt. Für Fremde, Unreine, sind die Tempel tabu. Was diese Religion, Urmutter aller Monotheismen, naturgemäß noch mysteriöser macht. Ein öffentlich zugänglicher Feuertempel im Zentrum von Yazd hatte Hoffnungen geweckt, dem Geheimnis endlich näherzukommen. Und dann das! Ein neoklassizistischer Bau aus dem 19. Jh., gespendet von reichen Parsen aus Mumbai. Durch panzerglasdicke Glasscheiben sind nur lächerliche, aus einer Gaspatrone gespeiste „ewige“ Flammen zu sehen. Das kann doch nicht alles gewesen sein! Gott sei Dank entpuppt sich ein Taxifahrer als Zarathustra-Anhänger. Von seinem Rückspiegel baumelt ein Faravahar, das geflügelte Symbol des Gottes Ahura Mazda. Und er macht sich erbötig, dem Gast echte zoroastrische Kultstätten zu zeigen, ihn in die zoroastrische Szene einzuführen. Was nicht so schwierig ist, wie es klingt – immerhin bekennen sich 70 Prozent der Yazdi zu dieser altiranischen Religion. Nach der arabischen Invasion und der Islamisierung des Landes sind die Anhänger Zarathustras entweder nach Indien geflohen – oder in die entlegenen Wüsten des Südiran. So gilt Yazd heute noch als Mekka, Jerusalem oder Rom des Zoroastrismus.

Besuch bei einer zoroastrischen Familie. Die Wohnung gleicht der jeder anderen iranischen Mittelstandsfamilie. Klobige Sofas, ununterbrochen laufendes, eigentlich verbotenes, aber überall verbreitetes Satellitenfernsehen – hier statt auf RTL auf den exilpersischen Kanal aus Kalifornien eingestellt, wo eine große Perser-Community lebt. Nur die Präsenz zweier Zarathustra-Bilder – das Fantasieporträt eines vollbärtigen Mannes um die dreißig mit wehendem Kopfschmuck und die Szene der Begegnung des künftigen Propheten mit seinem Gott Ahura Mazda – lässt Rückschlüsse auf die Religionszugehörigkeit der Bewohner zu.

Die Hausfrau erklärt, wie die Gläubigen bei Sonnenaufgang in einer Silberschale Räucherstäbchen anzünden und mit weißen Gebetsriemen in den Händen dem Licht huldigen. Dann bereitet sie die heilige Gemüsesuppe zu. Der Hausherr bringt eine 1,5-Liter-Flasche Cola. Ich lehne vorerst dankend ab, doch er besteht auf einer Verkostung. Es ist Rotwein. Nur Zoroastriern ist es in der Islamischen Republik Iran gestattet, für den Eigengebrauch Wein zu kultivieren, wobei der „Reifeprozess“ in bodenvasenähnlichen Gefäßen im Vorzimmer vor sich geht. Am nächsten Morgen wünscht man sich, nur Cola getrunken zu haben.

Kopfweh hin oder her, es hilft nichts. Die Besichtigung der „wahren“ Feuertempel steht an, in den kleinen Ortschaften im Grüngürtel rund um Yazd. Die Bezeichnung ist in zweierlei Hinsicht irreführend. Zum einen sind es keine „Tempel“ im eigentlichen Sinne, sondern wie Synagogen einfache Versammlungsstätten, an deren Wänden außer den zwei Darstellungen des Religionsgründers hauptsächlich Porträts von verdienten verstorbenen Gemeindemitgliedern hängen. Zum anderen, und hier klärt sich das Missverständnis einer westlich-romantischen Vorstellung auf, ist das heilige Feuer nur die bewahrte Glut.  Kein Feuer lodert, keine Flammen züngeln. Nichts da. Nur große goldene Kelche voller Asche. Nüchtern und ernüchternd.

Dafür gedeihen draußen heilige hohe Zypressen und Granatapfelbäume, Symbole der ewigen Jugend und des ewigen Lebens. Erfrischend schmecken übrigens auch die Früchte der zahlreich vertretenen Maulbeerbäume. Die geheimnisumwittertsten Stätten des Zoroastrismus aber sind die „Türme des Schweigens“. Fotos der Türme sah ich zum ersten Mal als Kind in einem Reisereportagebuch „Auf den Spuren Karl Mays“. Die kindliche Reaktion: Abscheu und Faszination. Wie konnten Menschen die Leichname der geliebten Angehörigen Aasgeiern zum Fraß vorwerfen? Gesehen jedoch hätte ich die Türme natürlich für mein Leben gern. In Indien waren und sind sie off limits – wie alles Zoroastrische. Aber dass in Yazd gleich fünf ausgewachsene Exemplare herumstehen, eröffnete mit einem Mal neue Perspektiven.

Man sieht sie schon aus weiter Ferne: Auf Felsen errichtete, zum Himmel hin offene Rundbauten mit massiven Mauern. Imposant und mächtig, anziehend und abstoßend. Als die offiziell „Dachmas“ (Grabmal) genannten Bauwerke noch in Betrieb waren, hatte nur der Totenwärter durch einen winzigen Einlass Zugang zu dem inneren Bereich. Seit der jahrtausendealte Brauch – Zoroastrier dürfen die vier Elemente Wasser, Erde, Luft und Feuer nicht verunreinigen – vom Schah in falsch verstandener Modernität verboten wurde, stehen die Steinriesen stumm und leer da und sind durch riesige Breschen in der Mauer begehbar. Der erste Turm: neuerlich eine Enttäuschung. Irgendwelche Idioten schenkten einer Wüstenlegende Glauben, wonach die Zoroastrier hier ihren Zaster, ominöse Goldschätze, vergraben hätten, und buddelten das ganze Erdreich um. Gefunden wurde natürlich nichts, die Gier hat den heiligen Ort in eine profane Baustelle verwandelt.

Auch bei zwei weiteren Türmen waren Vandalen am Werk, zudem nutzen Halbstarke die Wüste rund um die Türme, um die Geländetauglichkeit ihrer Motorräder zu testen. Gefühle von Ehrfurcht kommen bei dem Geknatter gar nicht erst auf. Doch im letzten Turm, dem „Golestan“, der auf wundersame Weise intakter geblieben ist als seine Geschwister, ist der Zauber plötzlich da: Ich denke an die alte Aufnahme im Teheraner Fotografiemuseum. Vor dem geistigen Auge wird lebendig, was sich hier einst abgespielt haben muss: in konzentrischen Kreisen verwahrte Kadaver. An der Mauer die Männer, dann die Frauen und am nächsten zur Mitte, dem sogenannten „Blutloch“, die Kinder – seltsamerweise nicht liegend, sondern in kleinen „Abteilen“ noch halbwegs aufrecht sitzend. Vögel, die sich an den Weichteilen gütlich tun. Ein Priester, der als Einziger über das Geschehen wacht, während die Angehörigen in den Herbergen am Fuß des Turms 40 Tage lang darauf warten, bis die Bestattung beendet ist, die Knochen gereinigt und in Felsennischen bestattet werden können.

Zukunftsweisend? Die Erinnerung an eine Szene mit einem sehr ähnlichen Kreislauf von Leben und Tod in der Savanne wird wach: Löwen haben eine Gazelle erjagt, der Großteil des Tiers wird von der Löwenfamilie an Ort und Stelle verspeist, den Rest teilen sich die Hyänen und Geier. Ein geschlossenes Ökosystem. Nichts verkommt, nichts wird übrig gelassen. Der Begriff „Himmelsbestattung“ ist vielleicht doch nicht nur ein Euphemismus. Und man fragt sich, wer sich im Namen welcher „zivilisatorischen Errungenschaften“, welcher „Humanität“, das Recht herausnimmt, diese zutiefst ökologische, nachhaltige, uralte, aber schon wieder zukunftsweisende Methode des fast hundertprozentigen Menschen-Recyclings zu unterbinden.

Eigentlich ist man empört. Und die Empörung steigert sich noch, als mich der zoroastrische Taxifahrer, auf den „neuen“ Friedhof  unten in der Ebene deutend, aufklärt, was jetzt an die Stelle dieser „barbarischen Bräuche“ getreten ist: Die lieben Toten werden zwar ins Erdreich versenkt, wie es die westliche Normalität will, allerdings in Betonwannen, um das Erdreich nicht zu verunreinigen. Wenn das der Fortschritt sein soll.

Die Zoroastrier selbst scheinen von all dem seltsam unberührt. Der Zufall will es, dass gerade ein Begräbnis stattgefunden hat, so werde ich dank meines taxifahrenden Vergil zu der Abschlusszeremonie und dem anschließenden Leichenschmaus eingeladen. Zwei vollkommen weißgekleidete Priester mit Mundschutz singen und murmeln Gebete, danach gibt es die landesüblichen Köstlichkeiten – frisches, duftendes Fladenbrot, Reis, Lamm, Walnusssauce, Joghurt, Kräuter, Salate, Radieschen, Granatäpfel als Nachspeise.
Nach den schroffen Zurückweisungen in Indien ist mir unerklärlich, wieso ich im iranischen Yazd, wo immer ich hinkomme, von den Anhängern dieses Glaubens freundlich empfangen und nicht als unreiner Eindringling behandelt werde. Liegt es daran, dass sie es in der Islamischen Republik Iran – obwohl ihre Religion offiziell anerkannt ist – nicht gerade leicht haben? Posten im Staatsdienst etwa sind ihnen verwehrt, viele wollen auch über Wien ins gelobte Orange County in Kalifornien auswandern. Oder liegt es daran, dass die Yazdi eine ursprünglichere Version des Zoroastrismus vertreten als die Parsen, ihre Glaubensbrüder in Indien und Pakistan? Oder am Oasenklima, hunderte Kilometer getrennt durch Wüsten von den großen Städten Isfahan und Shiraz?
Schade, dass sich nur selten Besucher in diese einzigartige, 5000 Jahre alte Wüstenstadt verirren.


Yazd, eine 5000 Jahre alte Stadt, besticht durch ihre an das Wüstenklima perfekt angepasste Lehmarchitektur: Kuppeldächer über den Häusern, dem Basar, den Gassen. Windtürme fangen mit Membranen den leisesten Windhauch ein, kühlen die Luft ab, die nach unten sinkt und die Räume klimatisiert. Wasserbecken kühlen die Innenhöfe, Quellwasser fließt aus mehr als 70 Kilometer entfernten Bergen durch unterirdische antike Kanäle in die Stadt. Ein Traum von Farben und Formen: die Freitagsmoschee (12. Jh.) und die Moschee Amir Chakhmâgh. www.yazd.com

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