Im Samenbeet chinesisch-ausländischer Ehen

Yangshou
Yangshou(c) EPA (Michael Reynolds)
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Südchina ist schön geblieben, das ländliche zumindest. Das hat sich auch bis zur Ostküste des Reichs der Mitte herumgesprochen. Chinesische Touristengruppen stürmen die alten Hippie-Hang-outs am Li Jiang.

Yangshou. Es war einmal ein kleiner Ort, idyllisch inmitten der dunstigen Kalkklippen Südchinas gelegen, ein Paradies für ein paar zivilisationsmüde Aussteiger. Ein paar kleine Gästehäuser gab es, Wasserbüffel vor der Tür und ab und zu ein knallrotes Motorrad mit Beiwagen, auf dem fünf bis sechs Chinesen in der blaugrünen Arbeitskluft der Werktätigen frühmorgens in ihren Steinbruch knatterten.

Es war staubig auf den Straßen, der Duft nach Baozi, gefüllten Teigtaschen, hing schwer in der Luft, und man trank seinen Morgentee auf morschen Sesselchen in Zwergengröße. Wenn es dunkel wurde, gingen alle Lichter aus, und nur die Öllampen der Kormoranfischer am Li Jiang flackerten nervös im windigen Zwielicht. Es war eine schöne Zeit damals.

Der Ort hieß Yangshuo und liegt immer noch in China. Auch der grüne Lotusfelsen und der Drachenkopfhügel und die anderen Klippen sind noch da. Aber das ist schon alles. China ist ganz anders geworden, gewachsen und erwachsen. Größer und mächtiger denn je zuvor, und stolz auf seine einzigartigen Naturschönheiten.

Und davon hat die Gegend genug, die eigentlich nur ein Verwaltungskreis der Millionenstadt Guilin in der Autonomen Provinz Guangxi in Südchina ist. Hauptort und Verwaltungszentrum ist Yangshuo selbst, das lange schon kein beschauliches Örtchen mehr ist: Noch im Jahr 2000 lebten hier nicht einmal 40.000 Menschen, 2010 bereits weit über 100.000. Hier lässt sich's prächtig leben, seit China den Urlaub für seine Werktätigen entdeckt hat. Und die werktätigen Zuwanderer wissen, was sich gut verkaufen lässt.

Reichtum macht gern Urlaub

Schon lange ist es keine Schwierigkeit mehr, schnell und bequem anzureisen. Luxusbusse brauchen von Yangshou nur mehr acht Stunden bis Guangzhou jenseits von Hongkong, seit die neuen Autobahnen fertiggestellt sind. Flughafen und Bahnhof von Guilin sind in weniger als einer Stunde erreichbar, wenn nicht wieder ein Konvoi von Wasserbüffelkarren die neue Straße lahmlegt – dahinter hupt meist ein nervöser Pulk von Motorfahrzeugen mit drei bis acht Rädern, die „Westwind“, ein SUV, oder „Build Your Dream“, ein Hybridfahrzeug, heißen, die neuen Symbole des märchenhaften Wohlstands. Reichtum macht gern Urlaub und wird noch lieber hergezeigt. Da kommt Yangshuo gerade recht.

Die meisten kommen aber per Schiff: Die Tagestouren ab Guilin haben lange Tradition, auch wenn die meisten Boote erst ab dem neuen Dock im Mopanshan, 23 Kilometer südlich, starten. Stundenlang den Li Jiang gemächlich stromabwärts zu treiben, durch die Bilderbuchlandschaft der kamelbuckelförmigen Karstklippen – das klingt nach Urlaub.

Das denken viele, ist diese Flusslandschaft ja sogar auf der 20- Yuan-Banknote abgebildet. Schon Han Yu, ein großer Dichter aus der Tang-Dynastie (618–907), schwärmte: „Der Fluss windet sich wie ein blaues Seidenband, während ihn die Hügel rundum wie grüne Haarnadeln aus Jade umgeben.“

Das neue Anlegedock von Mopanshan ist auf drei Millionen Touristen jährlich ausgerichtet. Die kommen zwar nicht gleichzeitig. Aber wenn 65 Schiffe hintereinander, mit je 120 Passagieren, ab 9.30 Uhr ablegen, lässt das keinen Reiher mehr kalt. Denn 65 Schiffslautsprecher haben Sagen und Schwänke zu jedem Felsen parat, viele davon auch jüngst erst erfunden. 60 Kilometer lang geht es im Konvoi, denn oft gibt es gerade genug Wasser, um zwischen den Sandbänken durchzukommen und die badenden Wasserbüffel nicht zu beleidigen. Zwischen dem Sehnlich-warten-auf-den-Gatten-Felsen und dem Schreibfeder-Hügel wird Reis auf Styropor gereicht, zwischen dem Gefleckten-Hügel-der-neun-Pferde und der Flussschnecken-Klippe dann grüner Tee in Plastik serviert.

Samtrosa Schnellfeuerhosen

Das Oberdeck ist meist für den Schiffsfotografen reserviert, der Familie Ping mit ihrer Babytochter Pong so oft ablichtet, bis sich deren samtrosa Schnellfeuerhose füllt. Am Unterdeck legen Fischer auf Bambusflößen an, die zufällig Souvenirs und Wechselgeld dabeihaben. Und sechs Stunden später landen wir, Boot 49 an diesem Tag, am neuen Pier von Yangshuo, den nur mehr eine 800 Meter lange, überdachte Souvenirstraße vom eigentlichen Ort trennt, der inmitten seiner pittoresken Gipfelkulisse so magisch ist, wie er immer schon war. Das Ausländerboot, mit englischsprachiger Megafonerklärung, wäre schon deutlich früher da gewesen, auch hätte es Pommes frites und richtige Teller gegeben – zum doppelten Fahrpreis allerdings.

Heutzutage geht es abends erst richtig los. Die Xi Jie, die Weststraße, ist mittlerweile Fußgängerzone und an Wochenenden ohne Ohrenschutz nicht zu empfehlen, wenn die ostasiatische Disco-Generation die Hügel rundum zum Vibrieren bringt. Diese sind neonfarben beleuchtet. Zwölf von ihnen bilden die Kulisse für die allnächtliche Theatershow „Impression Sanjie Liu“ unter der Regie von Zhang Yimou, weltweit bekannt durch seine Filme „Rote Laterne“ und „Hero“. Ungewöhnlich an dieser Vorstellung ist nicht nur die Kulisse, sondern auch die Bühne: die Wasser des Li Jiang, die von Flößern mit einem roten Seidentuch überspannt werden, in dem sich die beleuchteten Hügel spiegeln. Über 600 Komparsen nehmen an dem Spektakel teil, um danach noch mit ihrer Kundschaft zum Kormoranfischen zu gehen: Dort würgen die Kormorane die gefangenen Fische solange wieder herauf, bis alle ihre Fotos gemacht haben, bevor es zum Nachtmarkt auf eine Portion Pijiu Yu (Bierfisch) geht. Die Kormorane haben dann frei. Guten Appetit.

Hippie-Hype und Karaoke

Organisieren lässt sich fast alles fast überall. In Monkey Jane's Guest House zum Beispiel. Oder im Café under the Moon, in dem es Pancake und Gulasch für all diejenigen gibt, die Laoshugan – gebratener getrockneter Ratte mit Chili und Knoblauch – oder Songshugan, gebratenem Eichhörnchen, nicht viel abgewinnen können.

Ein bisschen Hippie-Hype ist längst auch für junge Chinesinnen chic, die aber weder Kochsitzungen, Kalligrafie noch Sprachkurse belegen, sondern lieber eine Floßfahrt mit Liegestuhl am Yulong, einem Nebenfluss des Li Jiang, buchen oder Ballon fahren gehen. Auch klettern am Yuleiang Shan (Mondhügel), früher ein Naturschauspiel für ein paar versprengte Langnasen, ist mit Stöckelschuhen gar nicht einfach. So singen sie lieber Karaoke, laut und stark. Oder reden einfach Englisch, zunächst einmal. Ein Zufall, dass die Weststraße auf örtlichen Stadtplänen als „Samenbeet chinesisch-ausländischer Ehen“ bezeichnet wird?

Dem Rummel lässt sich rasch entkommen: Radverleihe gibt es an allen Ecken und Enden. Keine Waffenräder wie damals, sondern längst gute Mountainbikes, für zwei Euro pro Tag – zwei Kilometer landeinwärts genügen, um wieder im alten China zu sein. Es gibt sie doch noch, die kleinen Nudelbuden inmitten der Reisfelder, ganz ohne internationale Speisekarten, die gefüllten gedämpften Teigtascherln Baozi auf dem Markt von Fuli, gleich neben dem Hundehändler. Die Zwergensesselchen beim großen Banyan-Baum. Stille.

Nur hinter dem Neun-Pferde-im-Haus-Hügel zieht ein rotes Motorrad eine Staubfahne zur kleinen Fähre am Li Jiang, der hier wieder Büffeln ohne Megafon und Kormoranfischern ohne Souvenirs gehört. Südchina ist schön. Und Yangshuo schön weit weg. Xiexie, danke.

Tipps

Essen: Dynasty of Dumplings: ein Must für alle, die ungewöhnliche Knödelkreationen (Lamm-Melone, u. a.) oder Bierfisch testen wollen.

Schlafen: Paradise Yangshuo Resort Hotel, bestes Haus auf dem Platz in ruhiger Gartenlage, Rückzugsort für Auge, Nase und Ohr.
www.paradiseyangshuo.com
Monkey Janes's Guest House: Billigabsteige fürs Partyvolk, das am Rooftop die Neon-Nacht genießt. www.monkeyjane.pyksy.com

China pauschal: große Auswahl an Rund- und Entdeckungsreisen bei Kneissl Touristik, Meier's Weltreisen, TUI, Ikarus Tours, Dertour.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2012)

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