Marokko: Katzenwäsche, Turban binden, frühstücken, los!

(c) AP (JOHN MCCONNICO)
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Mit Kamelen durch die Sahara stapfen und schaukeln, dem Singen des Sandes auf den Dünen lauschen, Brot backen, Menschenknochen finden, Sternbilder suchen: Nichts entspannt so tief wie Wüstenwandern.

Warum? Diese Frage rotiert immer wieder durch die Gedanken, während der Wind um die Ohren pfeift, der Sand in die Nase kriecht und die Arme durch eine Sandschicht zunehmend gelborange gefärbt werden. Bei jedem Biss knirscht es zwischen den Zähnen. Einzelne Körner verirren sich unter die Lider und schmirgeln für kurze Augenblicke die Netzhaut.

Ja, was verschlägt einen nur so weit heraus aus der heimischen Komfortzone? Warum bewegt man sich freiwillig durch einen Sandsturm, irgendwo in der marokkanischen Sahara? Vier Tage bleiben Zeit, darüber nachzudenken. So lange wird die Wanderung dauern, die vom kleinen Wüstenstädtchen Mhamid nördlich der algerischen Grenze bis zu den mächtigen Dünen von Erg Chegaga führen soll. Außer uns besteht die kleine Karawane nur noch aus vier Kamelen und zwei jungen Marokkanern. Abidin und Fuad, beide mit Turban und traditioneller Djellaba bekleidet, sind 26 und 22. Jung, aber erfahren nach zahlreichen gemeinsamen Trekkingtouren.

Während wir von ihren Kollegen lernen, aus dem langen, blauen Tuch einen Turban zu wickeln, sind die beiden damit beschäftigt, die Kamele mit Gemüse, Wasserflaschen, Zelten, Decken, Gasflaschen und allem zu beladen, was man für eine mehrtägige Wüstenexpedition braucht. „Yalla!“, ruft Abidin, dessen Englischkenntnisse für die nächsten Tage die einzige Brücke zu uns sind. Los geht's! Und wir laufen bei strahlendem Wetter hinterher. „Am Horizont kann man aber sehen, dass ein Sandsturm aufzieht“, sagt Abidin.

Vier Tage solcher Wind?

Und tatsächlich: Nach zwei Stunden weht uns der Sand erst schwach, dann zunehmend stärker um die Ohren. Das ist zunächst noch aufregend und verstärkt das Gefühl von Abenteuer in einer Landschaft, die zunehmend postapokalyptischer und mit den Sandwächten immer abstrakter wirkt. Konturen verschwinden. Die einzigen Farbtupfer sind Abidin und Fuad, deren Djellabas im Wind flattern. Manchmal wird der Wind noch stärker und die Wüste blau, weil ich mir den Turban vor die Augen ziehe. Vier Tage lang solcher Wind? „Inschallah!“, ruft Abidin – so Gott will. Das komme jedoch höchst selten vor. Auch in der Nacht schlackert das Zelt hin und her. Durch die Lüftungsschlitze an den Seiten dringt feiner Sand, in den Schlafsack, in den Mund. Erst am nächsten Morgen ist der Sandsturm nach schlafloser Nacht vorbei. Das Schaukeln der Kamele und der arabische Gemurmelteppich von Abidin und Fuad haben fast schon meditative Qualitäten. Einfach ausschalten und abschalten. Hier hat man das Gefühl, völlig raus und ganz weit weg zu sein. Diese entspannende Ruhe heißt aber nicht, dass es nichts zu sehen gäbe. Die Landschaft ist abwechslungsreich: Steinwüste mit hartem, trockenem Boden, durchzogen von einem Netz feiner Risse. Kahle, karge Weite mit vereinzelten Vegetationstupfern. Malerische Dünenmeere, je nach dem Stand der Sonne hellgelb bis tieforange. Wir sind nicht die einzigen, die Spuren hinterlassen. Auch Tiere – flinke Sandfische, Käfer. Vereinzelt finden wir alte Münzen. Einmal einen Schuh. Und einen Menschenknochen.

„Wie findest du dich hier zurecht?“ „I just know“, lacht Abidin. „Die Wüste ist mein zweites Zuhause“, sagt er, der bei Mhamid mit acht Geschwistern aufgewachsen ist. „Mehr Geld heißt auch mehr Probleme. Ich liebe das einfache Leben.“ Diese Einfachheit erwartet auch die Wüstentouristen. Zwar gibt es eine Rundumversorgung, und zum Mittagessen wird sogar eine Tischdecke ausgebreitet. Übernachtet wird aber im Zelt. Die Toilette verrichtet man in den Dünen. Und das Duschen fällt ganz aus. Für die morgendliche Katzenwäsche müssen Feuchttücher ausreichen.

Schnell kristallisieren sich Alltagsrituale heraus: zum Sonnenaufgang aufstehen, frühstücken, Turban binden, Camp zusammenpacken und losziehen. Sechs bis sieben Stunden laufen oder reiten, unterbrochen durch eine zwei- bis dreistündige Mittagsrast und Dösen unter den Palmen oder Bäumen einer Oase. Weiterwandern, bis die Beine der Kamele lange Schatten werfen. Dann muss das Nachtlager aufgebaut werden. Die Kamele werden versorgt und humpeln danach mit zusammengebunden Beinen in Sichtweite herum. Und Abidin schnippelt, rührt und kocht ganze Menüs mit wenigen Töpfen, Schneidbrettern und einer kleinen Gaskochstelle.

Die Glut des Feuers nutzt Abidin zum Brotbacken: Er verteilt die glühenden Holzstückchen gleichmäßig im Sand und breitet den großen Teigfladen darauf aus, den er dann wieder mit Glut bedeckt. Nach einigen Minuten klopft er auf den Laib im Sand. Das Brot ist fertig, schön warm, lecker. Irgendwann geht das Feuer aus, und es wird ganz dunkel. Einzig die Sterne leuchten hell vom Himmel. Tausende und Abertausende. Unwirklich. Intensiv. Und eine von vielen Antworten auf die anfängliche Frage nach dem Warum.

Wüstentrekking

Anreise: Wien–Marrakesch–Wien siehe Flüge der Woche Seite R 4, weiter nach Mhamid auf der N 9 über Ouarzazate und Agdz im Mietwagen, den man am besten schon zu Hause bucht (459 km, mehr als sechs Stunden Fahrtzeit). Oder Wien–Brüssel mit Brussels Airlines, 17 Stunden Aufenthalt in Brüssel, weiter mit Royal Air Maroc über Casablanca nach Ouarzazate für insgesamt 1164€.

Pauschalreisen: u.a. mit Dertour, Ruefa (z.B. „Von den Königsstädten zur Straße der Kasbahs“, 7-Nächte-Rundreise, 929€) oder TUI. dertour.at; ruefa.at; tui.at

Reisezeit: Optimal für Wüstentrekking sind Frühjahr und Herbst.

Das Wüstentrekking wurde unterstützt vom Reiseveranstalter „Marokko erleben“, +49/40/431 90 75 2, www.marokkoerleben.de, info@marokkoerleben.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2012)

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