Irland: Vom Leben im Torf

Der Westen von Irland ist leer an Menschen und voll von Grün- und Brauntönen. Mauern, Meer und Moore begleiten den Gemütsreisenden durch Connemara.

Ein Atlantikinsulaner lebt bescheiden: „Wir haben eine Bank, einen Supermarkt, ein paar Pubs und einen Pfarrer, der eingeflogen wird", erzählt der Busfahrer seinen Hinterbänklern und meint, das müsste reichen. Seine Stimme knattert im Gleichklang mit dem Fahrzeug, mit Nachdruck wiederholt er die letzten Wörter im Satz: „Flying Prrriest“, „Arrran Islandsss“. Nieselregen beschäftigt die knirschenden Scheibenwischer, der Blick aus dem Fenster könnte keltischer Roman-Fantasy entspringen: mystisch, doch irgendwie betörend. Aus dem Nebel tauchen alte Trockensteinmauern auf, geduckte Häuschen, ein Friedhof. Der Wind pfeift, und die Besucher vom Festland ziehen die Kapuzen tiefer. Aber sie genießen dieses herbe Idyll. Später wird ihnen Kaminfeuer, Chowder (Fischsuppe) und Irish Coffee einheizen.

Seetang und Strickware. Man möchte es nicht glauben, dass dennoch über tausend Leute auf Inishmore, der größten der Aran Islands, leben. Es waren früher um etliche mehr, als man sich mit der Verarbeitung von Kelp (Seetang) über Wasser halten konnte. Nach wie vor gehen die verbliebenen Einheimischen fischen und stricken dicke original Aran-Pullover, aber sie verkaufen auch die billigeren Maschinenfabrikate vom Festland, vermieten Fahrräder an Tagestouristen und bewirten sie freundlich. Sonst pendeln die meist Gälisch sprechenden Insulaner aus in die Hauptstadt ihrer Grafschaft, Galway, was eine halbe Weltreise bedeutet und nicht immer möglich ist, weil zwei bis drei Wochen im Jahr die raue See den Verkehr zwischen Inseln und Festland lahmlegt. Aber Galway mit seinen unzähligen urigen, überfüllten, lauten Pubs ist nicht der schlechteste Ort, um hängen zu bleiben. Wegen Strandleben und Schönwetter ist der Irland-Urlauber ohnedies nicht in den Flieger gestiegen und so weit wie möglich nach Westen gefahren: „America would be the next step“, schnarrt der Chauffeur. „America, next steppp.“ Die Idee von Übersee war in Irland stets naheliegender als der Rest von Europa.

Inishmore querfeldein zu durchstreifen wäre eine verlockende, aber unmachbare Idee, weil der Wanderer alle paar Schritte vor einer Steinmauer steht und kaum Wege durch dieses überdimensionale Schachbrett angelegt sind. Die Insel wurde komplett von Mauern benetzt, mehr als andere Gebiete von Connemara. Bauern errichteten und erneuerten die Mauern im Laufe hunderter Jahre, damit die Erde nicht weggeschwemmt oder -geweht wird, sie halten Tiere darin, Schafe nicht nur für Pullover. Am archaischsten aber mutet auf Inishmore das bronzezeitliche Steinfort Dun Aengus an. In vier konzentrischen Halbkreisen wurde vermutlich 1500 vor Christus ­— später als die Megalithkultur, an die sie erinnert — diese Festung auf der höchsten Stelle der Insel angelegt. Mutig pflanzten die Erbauer der meterdicken Steinreifen die Anlage genau an die Kante, 87 kerzengerade Meter, darunter tost die See. Hütten sollen hier gestanden sein, aber es ist schwer vorstellbar, dass dieser magische Ort nur so profanen Zwecken diente wie ständiger Behausung.

Marmor und Torf.
Auf den Aran Islands stehen die Häuser auf Kalk, Geologen wiesen nach, dass sich die außergewöhnliche Karstformation des Burren von Galway bis zu ihnen hinaus erstreckt. Sonst sitzt die wildromantische, ja mystische Landschaft der Region Connemara auf dem berühmten grünen Marmor und zu einem großen Teil auf Torf – quasi auf Heizmaterial, das die Bewohner systematisch abbauen. Überall sieht man Torfstiche und getrocknete Moorpackungen in Haufen. „Das ganze Gebiet ist wie ein riesiggroßer Komposthaufen, der schiefgegangen ist“, sagt der Guide Eckhard Gogsch, ein Deutscher im irischen Exil. Von einem Haufen könne ein Haushalt einen Winter lang heizen. Daher kümmert es die Bewohner wenig, wenn sich die Regierung mittlerweile gegen den Torfabbau stemmen will.
Was außer Moor und Moos sollte den vielen Niederschlag in Connemara sonst aufhalten? Kaum wo – das gilt auch für den Rest von Irland – existiert mehr der frühere Eichenwald, Aufforstungsprojekte mit Flachwurzlern werden kritisch gesehen. Und die Rhododendren, die sich regelrecht durch die Botanik fressen, sind für die Landwirtschaft eine Plage geworden, so schön sie auch aussehen mögen.

Doch gerade diese großen grünen, baumlosen Flächen und die Zeichen der Erosion machen den eigentlichen Reiz der Landschaft aus. Wenn sich zudem das Wetter wendet — also ständig —, ergeben sich aus den Konturen im Gelände immer neue Bilder, immer neue Grün- und Brauntöne. Zwischen den Hügeln stehen oft kleine Steinhäuschen, sie wurden zurückgelassen, verfallen und mutieren wieder zu Natur. Die Romantik birgt Tragik: Kartoffelfäule und Preiswucher ließen Mitte des 19. Jahrhunderts halb Irland verhungern oder auswandern. Man sieht noch die „Lazy Beds“, die erhabenen Stellen im Gelände, auf denen Erdäpfel angesetzt wurden. Über Land fahren, schauen, stehen bleiben, Füße vertreten, in ein Pub einkehren, weiterfahren, weiterschauen, weitereinkehren. So ein moderates Reisetempo wird dem leeren, rauen, traumhaft schönen Westen von Irland vermutlich am besten gerecht. Weitwandern oder Mehrtagestouren mit dem Fahrrad sind die Alternative, wenn man die Zeit hat, mehr und weiter in diese grüne Materie einzudringen.

Whiskey und Wildlachs.
Die meisten Reisenden durch Connemara führt der Weg von Galway über die einsame Straße Richtung Clifden, einer hübschen Kleinstadt mit nicht einmal 2000 Einwohnern, von dort weiter in den Nationalpark mit seinen höchsten Erhebungen (730 m), den „Twelve Bens“, und mit einem Abstecher bei dem wunderhübschen neogotischen Kylemore Abbey. Dabei durchkreuzt man eine moorige, dann wieder heideartige Landschaft mit kleinen Seen und nackten Hügeln und Bergen. In dem Idyll sind die Dörfer kaum als solche erkennbar, weil die Gegend weit zersiedelt, aber kaum bewohnt ist. Auch hier, im Abseits des einstigen „Keltischen Tigers“ ist vor den Krisenjahren gern gebaut worden, „weit mehr Häuser als Haushalte“, rechnet Guide Eckhard vor. So häufen sich  die „For sale“- oder „To let“-Schilder im Laufe der Spazierfahrt.

Könnte man hier leben? Und wovon? Für einen Wirt dürfte die Rechnung wieder so recht und schlecht aufgehen, die Pubs erfreuen sich regen Zuspruchs. Doch das dunkle Bier und der echte irische Whiskey fließen gepflegt, nicht mehr so in Strömen wie vor der Wirtschaftskrise, als das Geld ganz locker saß. Es bleibt gemütlich. Manchmal spielt eine Liveband, die Musik ist stets mehrheitsfähig. Um kurz nach elf macht der Wirt gern Schluss.
Als Lachsfischer könnte man sein Auslangen mit bester Qualität und größeren Ambitionen finden. Die Entscheidung, links von der schmalen Hauptstraße bei Clifden auf einen noch schmäleren Weg abzubiegen, führt hinaus auf die flache Halbinsel von Ballyconneely, die von Stränden gesäumt ist, wie man sie viel weiter im Süden verorten würde. An einem Pier liegt das „Connemara Smokehouse“, ein Familienbetrieb und einer der wenigen Arbeitgeber in der Gegend, hier wird Lachs in die Welt exportiert, auch nach Österreich. Graham Roberts Arbeit ist am Nachmittag bereits getan, er nimmt sich Zeit für Kunden, die den weiten Weg für ein paar Kilo in Kauf nehmen: „Born in the wild, lives in the wild“ – Graham hat sich entschieden, mindestens 50 Prozent Wildlachs zu fangen und zu verarbeiten. Der Rest fällt auf „organic“, den er sechs Kilometer draußen im Meer züchtet, auf eigentlichen Zuchtlachs setzt der Fischer nur wenig. Man muss noch anderes kosten: Seehecht, Thunfisch, Hering. Draußen kreischen die Möwen, ein Sonnenstrahl fällt schräg durch die bleierne Wolkendecke auf die Schärenküste herab. Wieder so ein kleiner Filmausschnitt, wie er einem hier so oft begegnet.

Und wie steht es mit einem Leben als Schriftsteller? Irland zog immer schon Autoren „in residence“ an. Nun, es muss etwas dran sein, an den atmosphärischen Schilderungen des so viel zitierten „Irischen Tagebuchs“. Heinrich Böll schrieb es in den Fünfzigerjahren auf Achill Island weiter, das nördlicher, bereits im County Mayo liegt, aber optisch eng verwandt scheint. Der Tagesausflug dorthin lohnt sich — vorbei an der zersprenkelten Küste der Clew Bay, an Orten wie Westport und Newport, um dann am Ende wieder in einer baumlosen Wanderlandschaft zu stehen, wo runde Berge den Weg lenken, große Surferwellen anrollen, Schafe weiden, und verlassene Steinhäuser verfallen, bis sie aufgehen in der Landschaft.

TIPP

Die Reize von Connemara eröffnen sich am besten bei einer Rundreise in moderatem Tempo. Ausgangspunkt ist Galway. Abstecher auf die Aran Islands. Weiter nach Clifden, Abstecher nach Ballyconneely zum Smokehose. Stops im Connemara Nationalpark, Marsch auf einen der Berge. Besuch von Kylemore Abbey. Weiter bis Westport, wo der „Gourmet Greenway“ und ein Radweg nach Mulranny startet. Nach Norden: von Newport nach Achill Island und retour.
Info: Tourism Ireland, Halle A Stand A0725; T01/501 596 000, www.entdeckeirland.at Veranstalter: Prima Reisen; Halle A Stand A0705, T 01/50 50 22 20, www.primareisen.com
Weitere Irland-Veranstalter u. a.: Dertour, Halle A, Stand A0627; Dodotours Halle A, Stand A826

Einkehren & übernachten
In Galway gibt’s so viele Pubs, dass man nur einen Bruchteil abklappern kann. Zwischen Dublin und Galway liegt eine der besten Distilleries: Kilbeggan.www.kilbegganwhiskey.com
Meyrick Hotel, hübsches Stadthotel mitten in Galway. www.hotelmeyrick.ie
Connemara Coast Hotel, in Traumlage am Meer.
Knockranny House Hotel, labyrinthisch und gemütlich in Westport. www.knockrannyhousehotel.ie
Diese Reise wurde von Prima Reisen und Tourism Ireland unterstützt.

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