Buenos Aires: Die Stadt der Götter und göttlichen Fügungen

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Buenos Aires, bisher oft nur ein Stop-over bei Langstreckenflügen, entwickelt sich zu einem erstrangigen Tourismus- und nun auch zum Pilgerziel.

Noch sind die Führungen „Auf den Spuren des Papstes“ nicht institutionalisiert. Das Haus, in dem der Papst vor seiner Kurienkarriere gewohnt hat, seinen Kindergarten, seine Schule, das Fußballstadion seines Lieblingsvereins San Lorenzo, das alles zeigen die Taxifahrer in Buenos Aires derzeit den Touristen. Der Geheimtipp in Sachen heiliges Buenos Aires führt in eine der schönsten Kirchen der Capital Federal, nach San Carlos Borromeo im Stadtteil Almagro. Hier wurde Jorge Mario Bergoglio am 25. Dezember 1936 getauft. José Repovz, der Pfarrer von San Carlos, begleitet in das spektakuläre Baptisterium: „Die Kirche durchlebt hier in Argentinien eine schwere Zeit, durch den neuen Papst glauben wir, dass mehr Freude in die Kirche kommen wird“, sagt José Repovz. Die Familie des Priesters war nach dem Zweiten Weltkrieg aus Slowenien nach Kärnten geflüchtet und 1948, als Argentinien allen die Einwanderung erlaubte, nach Buenos Aires ausgewandert.

Die Kathedrale an der Plaza de Mayor, bis vor Kurzem der Arbeitsplatz von Jorge Mario Bergoglio, findet jeder selbst. Und gleich daneben die nachts pink bestrahlte Casa Rosada, die Residenz von Staatschefin Christina Kirchner.

Göttin Christina?

Das modebewusste argentinische Regierungsoberhaupt gibt selbst gern die Rolle als Retterin der Armen, derzeit aber fällt sie vor allem durch ihre restriktive Wirtschaftspolitik auf, die einen Parallelmarkt für den Peso geschaffen hat. Touristen pilgern mit ihren Euro- und Dollarnoten in die Calle Florida, das Fußgängerzentrum von Buenos Aires. „Cambio, cambio!“, tönt es muezzinartig über die Calle Florida. Auf der Straße ist der Peso um die Hälfte billiger als in der Bank oder am Bankomaten.

Durchatmen im hektischen Treiben des Microcentro lässt es sich um die Ecke, auf Nummer 645 der Calle Sarmiento. Dort pflegt „The New Brighton“ gediegenen argentinisch-britischen Lifestyle. Feinste Mendoza-Weine und internationale Küche in argentinischen Riesenportionen werden unter Jagdtrophäen von eleganten Kellnern mit subtilem Feingefühl serviert. Im Allgemeinen ist die argentinische Küche eher straight. Medium oder well-done ist die Frage, bevor ein riesiges Stück vom Rind gebraten auf den Tellern landet. Fleisch ist das Hauptnahrungsmittel, dazu grüner Salat mit Karotten, Tomaten und Zwiebeln, und frittierte Kartoffel.

Stolz sind die Argentinier auf ihr Dulce de Leche, einen eingekochten Milch-Zucker-Brei, der die beiden Kekshälften der Alfajores zusammenhält, bevor diese mit Schokolade überzogen werden. Hauptsache üppig ist das Motto auch beim Backwerk.

Götter mit Händen und Füßen

Der Melting-Pot Buenos Aires ist ein Biotop der Götter. Diese heißen Messi oder Maradona und lassen ihre göttlichen Füße über das grüne Feld wirbeln, oder sie heißen Daniel Barenboim und Astor Piazzolla und turnen mit den Fingern über schwarz-weiße Klaviertasten oder Bandoneonknöpfe. Piazzolla verkörpert die Verwirklichung des argentinischen Traums. Dieser besteht aus Arbeit, Arbeit und wieder Arbeit. Am Instrument. „Mein Vater Astor war sehr witzig, humorvoll und unterhaltsam. Aber wenn er eine Bühne betrat, dann wurde er ein ganz anderer. Das Einzige, was er im Leben wirklich ernst nahm, war die Musik“, sagt Daniel Piazzolla, der mit sechs Jahren seine erste Komposition abgeliefert hat. Daniel sog Musik mit der Muttermilch auf, spielte, komponierte und trug die Last des Erbes, Sohn von Astor zu sein.

Er spielte mit Astor, tourte mit dem Vater und unterstützte ihn während seiner Lebenskrisen. 2012 trat Daniel Piazzolla nach vielen Jahren wieder auf die Bühne, vor stolzen 12.000 Zusehern und Zuhörern in Buenos Aires, gerufen hat ihn sein Sohn Pipi, Schlagzeuger und Frontman der Band Escalandrum. Pipi nimmt das Piazzolla-Erbe leichter: „Ich liebe Buenos Aires. Diese Stadt bereitet mir viel Freude. Ich mag den Fußball sehr, die Treffen mit meinen Freunden und die Grillfeste. Zum Glück ist auch das musikalische Umfeld in dieser Stadt großartig.“

Göttliche Frauen

Buenos Aires, das ist zelebrierte Urbanität. Zwar gibt es im Norden der Stadt seit dem Jahr 2009 einen echten Sandstrand, die Playa de los Niños. Doch seinem „Silberfluss“, dem Rio de la Plata, kehrt Buenos Aires den Rücken. Viele Hochhäuser punkten immerhin mit einem Ausblick auf den Rio, und auch das alte Hafengebiet von Puerto Madero bekam in der letzten Dekade ein Gentrifizierungs-Lifting verpasst. Kunst zog bei der Schleuse Nummer vier in einen Neubau ein, in Gestalt der Sammlung von Amalia Lacroze de Fortabat, der reichsten Frau Argentiniens. Restaurants, Bars und die elegante weiße Fußgängerbrücke von Santiago Calatrava machen Puerto Madero zum lohnenden Ziel für einen Spaziergang.

Viele der Straßen tragen Frauennamen und auch die Brücke heißt „Puente de la mujer“. La divina, la primadonna assoluta, die göttliche Maria Callas, ist eine legendäre Businessreisende, die sich in das Gedächtnis der Stadt Buenos Aires eingeschrieben hat. Ihre Wirkungsstätte war das Teatro Colón, das vor Kurzem renoviert wurde.

Literaturgott Jorge Luis Borges

Buenos Aires ist eine Hauptstadt der Imagination, ein Babel und ein Ort der multiplen Diaspora – so sieht es „der blinde Dichter von Buenos Aires“, Jorge Luis Borges. „Ich will keine Straße sein, und Borges soll vergessen werden“, tönte Borges vollmundig. Sein Lieblingsrestaurant findet sich im Stadtteil Palermo und in der Straße, die jetzt doch Borges' Namen trägt. „El preferido de Palermo“ heißt der urige Grillfleischtempel.

Alles über Borges und sein Buenos Aires weiß Sieglinde Oehrlein. Sie lebt seit 14 Jahren als Übersetzerin und Journalistin in Buenos Aires, mit Blick auf den Botanischen Garten. Sieglinde Oehrlein ist den Spuren der berühmten Reisenden und Bewohner der Stadt nachgegangen, von Diego Maradona über Julio Cortázar bis Antoine de Saint-Exupéry, und hat einen der besten Reiseführer für die Stadt geschrieben. „Buenos Aires, die europäischste Metropole Lateinamerikas, hat sich zu einem erstrangigen Touristenziel entwickelt“, sagt sie, „die Stadt am Rio de la Plata wollte ja immer schon mit Paris, London, Berlin und Madrid wetteifern.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2013)

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