Schildkröten, Meze und die Mauer im Kopf

Nordzypern
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Nordzypern muss man selbst entdecken – in den Katalogen der meisten Reiseveranstalter taucht das Land gar nicht auf. Schade, denn naturbelassener geht es nirgendwo mehr am Mittelmeer zu.

Ercan. Die Verwirrung beginnt beim Umsteigen am Flughafen in Istanbul: Geht der Flieger nach Ercan vom nationalen oder vom internationalen Terminal? Nordzypern wird ja nur von der Türkei anerkannt, also ein Versuch im nationalen Terminal. Fehlanzeige. Der Flug geht vom internationalen Terminal.

Der Flughafen in Ercan ist mit einer 2,5-km-Piste nicht für Massentourismus ausgelegt – noch nicht – und hat sieben Gates. Aber das macht das Treffen mit dem Guide umso einfacher. Hotelbetten hat Nordzypern nur 20.000, der griechische Süden 100.000. Auch die touristische Infrastruktur ist noch ausbaufähig. Doch mittlerweile beginnen zum Beispiel die Deutschen, den Nordteil zu entdecken: Gab es 2010 nur 16 Charterflüge nach Nordzypern, waren es 2012 bereits 72.

Wer Natur liebt, ist auf Nordzypern definitiv richtig. Die Sandstrände an der Nordküste sind rar, doch im äußeren Osten der Karpaz-Halbinsel lockt der goldene Strand, ein kilometerlanger, völlig unbebauter Natursandstrand aus feinem, weißem Sand. Vom Tourismus ist die Halbinsel bis in die 1980er-Jahre verschont geblieben, weil militärisches Sperrgebiet. Kaum vorstellbar, dass diese Leere in der byzantinischen Periode die am dichtesten besiedelte Region der Insel war. Strandbars, Sonnenschirme, Strandverkäufer: Fehlanzeige. Nur glasklares, warmes Wasser, bis in den Oktober hinein, und einen weiten Horizont.

Maria, die Touristen durch Nordzypern führt, erzählt, dass sie an diesem Strand einmal übernachtet hat. Geschlafen hat sie wenig, denn sie war mit Naturschützern da, die sich um die Eier der unechten Karettschildkröten kümmern. Diese Meeresschildkröten, die über einen Meter groß werden, haben im Mittelmeer nur noch wenige Rückzugsgebiete – insgesamt gibt es nur noch rund 1400 der bis zu 250 Kilogramm schweren Tiere.

Hassan am goldenen Strand

Dank des Fehlens des Tourismus am Golden Beach, nur rund 70 Kilometer von der syrischen Küste entfernt, kommen die Tiere regelmäßig zum Eierlegen hierher. „Damals kam leider keine Einzige“, sagt Maria, „aber es war trotzdem ein unvergessliches Erlebnis.“ Wenn die Schildkröten ihre Eier ablegen und im Sand vergraben, markieren die Naturschützer die Stelle mit Farbe, damit niemand versehentlich drauftritt.

Der Einzige, der am goldenen Strand Übernachtungsmöglichkeiten und Essen anbietet, ist Hassan, natürlich ein Verfechter der Schildkrötenbrutgebiete. „Meine Bungalows stehen in einer der schönsten und unverdorbensten Landschaften des gesamten Mittelmeeres“, brüstet sich Hassan, aber er könnte damit recht haben. Die Preise sind günstig, zwei Personen zahlen in einem Bungalow inklusive Frühstück 45 Euro pro Nacht. In der Gegend streunen auch die Wildesel, die meist recht zutraulich sind. Am äußersten Ende der Halbinsel steht das Kloster des Apostels Andreas, einst ein wichtiges Pilgerziel der orthodoxen Gläubigen. Der Mönch, der die lange nicht mehr renovierte Kirche aufsperrt, ist allerdings etwas ungehalten, wenn man ihn in der Mittagspause weckt.

Die nächsten Hotels sind weit entfernt, und auf der Strecke nach Girne sieht man Ferienhausruinen in bester Lage, zum Teil schon viele Jahre im Rohbaustadium. „Nach der Grenzöffnung vor zehn Jahren herrschte in Nordzypern ein Bauboom, man erwartete in der Folge einen Tourismusboom“, erzählt Maria. Doch daraus wurde nichts. Ein Grund sind die ungeklärten Besitzverhältnisse der Retortensiedlungen: Die Grundstücke gehören vertriebenen Griechen. Wer ein Haus kauft, muss damit rechnen, dass die Eigentümer klagen, dazu kommt die europaweite Immobilienkrise.

Keine Michelin-Sterne für Zypern

Generell ist Zypern, sowohl Süd als auch Nord, ein Ziel vor allem für Engländer, was dem ehemaligen Kolonialstatus geschuldet ist. In Nordzypern gibt es offiziell keine Restaurants mit Michelin-Sternen, Zypern existiert auf der Landkarte der Michelin-Tester nicht einmal. Wer aber einmal ein Festmahl – anders kann man es nicht bezeichnen – mit Meze, der zypriotischen Variante der Tapas, gefeiert hat, wird ein Sterne-Restaurant bestimmt nicht vermissen. Man braucht nicht lange suchen, da die Zubereitung der Meze in den meisten Restaurants ähnlich ist. Sogar einfache Dorftavernen servieren vorzügliche Meze(des)! Zwischen 20 und 30 verschiedene(!) Tellerchen werden dabei auf den Tisch gestellt, jeder nimmt sich nach Belieben.

Vorzüglich ist der gebratene Halloumi, der bissfeste Ziegenkäse, der leicht angeröstet wird. Durch die Einflüsse der türkischen, der griechischen und der nahöstlichen Küche entstehen wunderbare Kombinationen – von rohem Gemüse über Olivenpasten, Fleischbällchen in Tomatensauce bis Auberginenpüree oder gefüllten Weinblättern gibt es hunderte Varianten, Vegetarier haben hier reichlich Auswahl.

Oft kommt nach der Meze noch ein Hauptgericht mit Fleisch oder Fisch vom Holzkohlengrill, ohne den kein Restaurant auskommt, und dann noch die Nachspeise. Maßvoller Genuss ist angesagt. Um die Verdauung anzuregen, wird freigiebig Raki, ein Anisschnaps, ausgeschenkt, den man sich mit Wasser verdünnt. Im Allgemeinen sind die Nordzyprer nicht so streng mit islamischen Sitten wie in der Türkei. Es wird Alkohol getrunken, Kopftücher sieht man kaum.

Besonders empfehlenswert ist das Restaurant Müze Dostlari Dernegi in Nikosia, hier servieren die sympathischen Kellnerinnen Speisen im nostalgischen Ambiente der Mauerstadt. Manche Perle kann man beim Bummel durch die fast ausgestorbenen Altstadtgassen des nördlichen Teils der geteilten Stadt entdecken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2013)

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