Privatzimmer schlägt Hotel, und sei es virtuell

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Der Trend zum Wohnungstausch und zu privaten Unterkünften auf Reisen verstärkt sich immens. Manche Anbieter setzen nun auch auf den Charme virtueller Privatwohnungen.

Niemand will Tourist sein, zumindest nicht offensichtlich. Man wäre einer der „Ahnungslosen im Ausland“ (Mark Twain). Ahnungslos, wo die wirklich schönen Plätze sind und angewiesen auf Reiseführer, Webguides und Blogs, die nur die üblichen Verdächtigen der wichtigsten und bekanntesten Adressen auflisten. In den Hotels bliebe man nur unter anderen Touristen und äße schlecht und/oder überteuert in Touristenfallen. Doch dort zu bleiben, wo man sich auskennt, ist keine Lösung, schließlich will man die Welt sehen, aber nicht als Tourist erscheinen.

Genau diese Zielgruppe haben die Anbieter von privaten Unterkünften auf dem Radar. Private Zimmer und Apartments zu finden ähnelte in der Prä-Internet-Ära der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Heute kein Problem, die Suchmaschine ist in Sekundenbruchteilen fündig. Die Zahl der Online-Portale – von Housetrip, Wimdu und Airbnb über 9Flats bis zu Couchsurfing – steigt deutlich an. Stark im Trend ist auch der Tausch von Wohnungen oder Häusern – viele Reisende schätzen diese Unterkünfte, weil sie mehr Seele, mehr Charme haben als Hotels.

Nun setzen auch Nischenanbieter auf den Charme des Privaten. So hat in Wien kürzlich ein Apartment-Vermieter seinen Betrieb aufgenommen, der bewusst mit fiktiven Personen spielt, die hinter den acht Apartments stehen. „Niemand lebt gern anonym in einer Stadt, sondern lieber bei einem Freund. Unsere Apartments wirken wie private Wohnungen, sind aber serviciert“, erklärt Gerald Tomez, der gemeinsam mit Claudia Diwisch die Apartment-Vermietung Chez Cliché ins Leben gerufen hat. Die Apartments sind quer über die Stadt verteilt und tragen die Namen der jeweiligen Person, die offiziell dahintersteht. So wohnt etwa der DJ Beat in einer 40-Quadratmeter-Wohnung in der Naglergasse, gleich ums Eck vom Graben. „Wir wollen den Besuchern die Möglichkeit geben, sich in die Person hineinzuversetzen, deshalb spiegelt sich die fiktive Person in jedem Detail“, so Tomez. So wurde Beat mit einer großen Platten- und CD-Sammlung, einem Plattenspieler und einer Discokugel ausgestattet.

Bei Theaterkritiker Koloman hingegen wimmelt es nur so von Theaterliteratur, Büchern oder alten Autogrammkarten. Bei Jockey Rail sieht es eher aus wie in einem noblen Pferdestall und Marie Theres, wie kann es anders sein, zeigt deutlich ihr Faible für die Monarchie.

Zusätzlich gibt es noch ein paar Annehmlichkeiten, die man in einem Hotel nur bedingt findet: Der Kühlschrank und das Weinregal werden für jeden Besucher gefüllt. Dazu können, je nach Bedarf, gewisse Leistungen, von Frühstück bis zu Theaterkarten, bestellt werden. „Wir haben ein großes kreatives Netzwerk und wollen das unseren Gästen zur Verfügung stellen“, erklärt Tomaz. So kann er Lifeball-Gästen einen Stylisten ins Haus schicken oder die Gäste der DJ-Suite auf die Einladungsliste eines Clubs stellen. Zwischen 169 und 239 Euro pro Nacht kostet die persönliche Unterbringung in den 42 bis 92 Quadratmeter großen Räumlichkeiten.

Ähnlich funktioniert das Konzept von Urbanauts, die leerstehende Gassenlokale nutzen. Vor knapp einem Jahr haben die drei Architekten Theresia Kohlmayr, Jonathan Lutter und Christian Knapp mit einem 25-Quadratmeter-Apartment in einem Gassenlokal, einer ehemaligen Schneiderei im vierten Bezirk, begonnen. Ziel des Urbanauts-Trios: pro Bezirk bis zu zehn solcher Hotelzimmer ohne Hotel.

Das ehrgeizige Projekt hat sich allerdings ein wenig verzögert. Diesen Sommer sollten aber zumindest drei neue Apartments, ebenfalls im vierten Bezirk, in Betrieb gehen. „Wir haben das ein bisschen unterschätzt, da wir das ursprünglich auf ein Mietmodell aufbauen wollten. Jetzt sind wir zu einem Kaufmodell umgestiegen, das ist aber viel aufwendiger“, so Kohlmayr.

Bäckerei statt Lobby

Selbst klassische Hotels setzen verstärkt auf den Charme der privaten Unterkunft. So baut etwa der Café-Drechsler-Chef und einstiger Hoteldirektor vom „Das Triest“ Manfred Stallmajer gerade am „The Guest House“ nahe der Albertina. Im Oktober will er das Hotel, das mehr auf privaten Charme setzt, eröffnen.

„Man soll das Gefühl haben, in einer privaten Wohnung zu wohnen“, so Stallmajer. Gestaltet wird das Haus von Designer Terence Conran, im Erdgeschoß des Baus befindet sich statt einer Lobby eine Bäckerei des Biobäckers Helmut Gragger. Für Stallmajer und auch Tomez sind solche Entwicklungen eine natürliche Reaktion auf den Ruf nach mehr Privatem. „In Europa sind im privaten Sektor die Alternativen zum Hotel gestiegen“, so Tomez. Teilweise so stark, dass manche Städte wie Amsterdam, Berlin oder Barcelona, wo das private Logieren überhandgenommen hat, nun von öffentlicher Seite entgegenwirken. „Dem Staat entgehen dadurch Steuereinnahmen“, erklärt Tomez. In den USA ist man gar noch einen Schritt weitergegangen: „Da gab es den ersten Präzedenzfall, bei dem ein privater Anbieter eine hohe Geldstrafe zahlen musste.“ Scheint also ganz so, als ob sich neben Hotel und Privatzimmer noch eine dritte Alternative etabliert hat, oder genauer gesagt: dazwischen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2013)

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