Die Höhlen von Lascaux im Land des Überflusses

Die Höhlen von Lascaux
Die Höhlen von Lascaux(c) ORF
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Wir sind im Périgord, im Umkreis der Dordogne, im landschaftlich und klimatisch milden, Süden Frankreichs, in dem die Natur auch aus vollen Ästen spendet. Auch in der Eiszeit ein Idyll von Natur & Kultur.

Vor etwa 18.000 Jahren wurden sie das letzte Mal gelöscht, die Lichter auf halber Höhe der Höhlenwand. Sie brannten mit Fett von Rentieren, um einen Docht aus Wacholderholz herum, dessen Rauch weiß ist und den Blick nicht gar so trübt. Lange hatten diese Laternen ihren Dienst getan, jetzt war der, dem sie Licht gespendet hatten, fertig mit seiner Arbeit. Er krönte sie mit einem meisterhaften Spaß, einem auf dem Rücken liegenden Pferd. Es war so perfekt wie all die 300 anderen Tiere, die er zuvor auf die Wände gezaubert hatte. Jeder Strich passte – nicht einer musste korrigiert werden –, die Perspektive passte, selbst die Illusion naturgetreuer Bewegungen hatte der Meister ersonnen. Das rechte Vorderbein eines Pferdes etwa stand auf dem Boden, das linke war abgewinkelt in der Luft und am Ansatz vom Körper getrennt. Den Trick verwendeten sie erst viel später bei Disney wieder.

Nun war er also fertig – vielleicht war er auch eine sie, oder sie waren mehrere –, er hatte geschaffen, was heute den Ruf der „Sixtinischen Kapelle der Vorgeschichte“ hat. Picasso fasste es, angesichts von Wandbildern in Altamira, schärfer: Alle spätere Kunst sei nur Dekadenz. Wie auch immer, der Künstler war fertig und ging hinaus aus der Höhle von Lascaux in eine Welt, in der offenbar so viel Überfluss herrschte, dass die Gesellschaft ihn freistellen konnte. Seine Ausbildung muss lange gedauert haben.

Grauen und Romantik

Überfluss herrscht auch heute in der Region, da fließen Milch und Rotwein, da fliegen die gebratenen Enten ins Maul: Wir sind im Périgord, im Umkreis der Dordogne, im landschaftlich und klimatisch milden, hügeligen Süden Frankreichs, in dem die freundliche Natur auch aus vollen Ästen spendet: Walnüsse, Esskastanien in dichten Pflanzungen und noch dichteren Mischwäldern.

Früher flossen hier andere Säfte, früher flogen hier andere Dinge: Die Erde ist blutgetränkt von Schlachten ohne Ende. Die Wikinger waren da, die Hunnen, dann kam der Bruderkrieg der Franzosen und Engländer im Namen der Rose und dauerte hundert Jahre. Und dann, viel später, kamen die Schlimmsten von allen, die Großdeutschen: Im gar nicht so fernen Vichy etablierten sie ihre Marionette Pétain, im auch nicht so fernen Oradour trieben sie die Bevölkerung in die Kirche und zündeten sie an. Von 648 Einwohnern kamen sechs mit dem Leben davon. Aber all dem Grauen zum Trotz hat sich vieles von dem erhalten, was in Wellen der Kunst aufgetürmt wurde. Hier blühte die Romanik. Hier blüht sie noch, teils als Disneyland vermarktet wie in Romadour, teils als ganz normale Städtchen oder Weiler, bewohnt wie Sarlat oder Limeville, oft an der Dordogne selbst oder an einem ihrer Nebenflüsse, in St.-Pierre de Beaulieu-sur-Dordogne etwa mit seiner grandiosen Abteikirche. Und oft ist, wie in St.-Pierre gegenüber der Kirche, ein Antiquitätengeschäft dabei, wo die jüngere Vergangenheit neu verteilt wird – spätes 19., frühes und mittleres 20.Jahrhundert. Spuren, wo man hinsieht, Idylle in Natur und Kultur, bisweilen ein wenig viel.

So muss es auch vor 18.000 Jahren gewesen sein, sonst hätten sie sich nicht ausgerechnet hier niedergelassen, obgleich damals die Eiszeit auf ihrem Höhepunkt war. In der Gegend wimmelte es von Wild, der alte Hausmüll verrät, dass man sich, was Fleisch betrifft, fast ausschließlich von Rentieren ernährte. Doch unter den 300 Tieren an der Wand findet sich nicht ein einziges Rentier. Der Künstler bevorzugte Rinder und vor allem Pferde. Das ist nur eines der vielen Rätsel von Lascaux. Man weiß nicht einmal, welche Menschen die Bilder gemalt haben bzw. wie alt die Bilder sind. Man kann sie nicht datieren, denn die schwarzen Pigmente stammen nicht von Holzkohle, sondern sind mineralischen Ursprungs. Datieren kann man nur die Holzdochte. Und die brannten eben vor 18.000 Jahren zum letzten Mal, vielleicht bei einer Kulthandlung – niemand weiß es. Immerhin, für das Rentierrätsel hat ein Kind in der geführten Besuchergruppe eine Lösung: „Davon werden sie genug gehabt haben, die werden sie nicht auch noch an der Wand sehen haben wollen, wenn sie sie schon jeden Tag essen mussten!“

Die Höhle war übrigens bald überlaufen, die Bilder nahmen Schaden. In den 1960er-Jahren schloss man Lascaux und errichtete eine bis auf den Quadratzentimeter genaue Replik, Lascaux II. Die kann man besuchen. (j. l.)

OMG – FRANKREICH!

Vergessen Sie, wenn Sie in einer ländlichen Region Frankreichs unterwegs sind, alle herkömmlichen Reiseführer. Besorgen Sie sich stattdessen „Les plus beaux villages de France“.

Vergessen Sie nicht I: Kopfpolster. In vielen Herbergen gibt es noch die französische Bettwurst, eine Qual. Aber man trauert dem Ungetüm dort nach, wo es durch plastikgefüllte Polster ersetzt wurde.

Vergessen Sie nicht II: Öffnungszeiten! Die Kultur in Frankreich hat von elf bis 14h geschlossen; abends hat dann die Esskultur geöffnet (die schließt aber um 14h).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2013)

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