Nordlichter über Scherenschnittbergen

Königskrabben fangen und verkosten (nur die Beine)
Königskrabben fangen und verkosten (nur die Beine)Christian Kolb
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Sieben oder zwölf Tage lang mit einem Hurtigruten-Liner die monumentale Küste von Norwegen entlangschippern, das ist die Frage. Im Zweifelsfall wählen Neugierige die lange Tour.

Vor etwas mehr als hundertzwanzig Jahren, im Sommer 1893, schickte Kapitän Richard With sein erstes Postschiff der sogenannten „schnellen Linie“, Hurtigruten, als Frachter und Passagierschiff die zerklüftete norwegischen Küste entlang nach Norden. Niemand glaubte dem norwegischen Pionier, dass ein regelmäßiger Liniendienst möglich sei auf der elendslangen und mit Hindernissen wie Millionen Schären, engen Sunden, gefährlichen Strömungen und schmalen Fjorden gespickten Strecke. Speziell im stürmischen Winter nicht. War es aber. Heute laufen elf Hurtigruten-Liner täglich 34 Häfen an, von Bergen im Süden bis nach Kirkenes in den Finnmarken im hohen Norden.

Mit Hurtigruten ist es bis heute möglich, Norwegens komplette, 2400 Kilometer lange Westküste und das Leben in den Städten Bergen, Trondheim, Tromsø und in den kleinen Häfen, aber auch auf Ausflügen das Hinterland deutlich schneller kennenzulernen als mit zeitaufwendigen Auto- oder Bahn-reisen. Der Klassiker beginnt in der Hansestadt Bergen. Von hier sind die Schiffe zwölf Tage lang unterwegs, bis sie wieder im Ausgangshafen ankommen. Vorteil der Hin-und-retour-Route: Die Schiffe laufen jeden Hafen zweimal an. Wer alle Häfen und Küsten sehen will, macht sich auf die Zwölf-Tage-Fahrt, die Nachtetappen und -stops der Hinfahrt erlebt man auf der Rückreise untertags. Wer die Tour in nur einer Woche absolvieren will, fliegt gleich nach Kirkenes. Die 6000-Einwohner-Stadt an der russischen Grenze liegt an der eisigen Barentssee. Erlebnishungrige verbringen hier, bevor sie an Bord gehen, im Winter eine mollig warme Nacht im Schlafsack bei minus sechs Grad im Schneehotel und gehen mit Fischern auf Königskrabbenfang. Bei der dreistündigen Tour bringen Fischer die Gäste – im Winter per Scooter, im Sommer per Boot – zu den besten Fanggründen, ziehen Käfige mit Königskrabben aus dem eiskalten Wasser und servieren den Fang köstlich gedämpft in ihrer wohlig warmen Hütte.

Stopps in kleinen Häfen

Nach mehreren Zwischenstopps in kleinen Häfen, die oft nur 15 oder 30 Minuten dauern und dem Be- und Entladen von Fracht und Passagieren dienen, erreicht das Schiff am nächsten Morgen das Fischereistädtchen Honningsvåg. Von hier besuchen viele Skandinavien-Urlauber das Nordkap. Der 307 Meter hohe, aus dem Eismeer ragende Schieferfelsen galt lange als nördlichster Ort Kontinentaleuropas, ein Globus markiert dieses europäische Ende der Welt.

Während das Schiff an kleinen Dörfern mit teils nur ein paar hundert Einwohnern, an bunten Holzhäusern auf kleinen Inseln und schroffen Felsformationen vorbeigleitet, genießen die Passagiere das Bordleben. Während die norwegische Kurzstreckengäste ihre Zeit im Café oder an Deck totschlagen, buchen Touristen eine Kabine.

Tromsø, die junge, boomende Universitätsstadt mit 67.000 Einwohnern, ist das Tor zur Arktis. Zwei Stunden macht das Schiff Station in der Stadt, von der viele Polarforscher nach Norden aufbrachen. Zeit genug, um die Eismeerkathedrale des Architekten Jan Inge Hovig zu besuchen oder durch die belebte Innenstadt zu bummeln. Wie in jedem Küstenhafen befindet sich der Schiffsanleger nahe dem Stadtzentrum. Natur, Kultur, Geschichte und Tradition Norwegens sind so immer nur ein paar Schritte von der Mole entfernt zu erleben.

Ein reichhaltiges Ausflugsprogramm vertieft die Landeskenntnisse, etwa Walsafaris, Hundeschlittentouren, Scooter-Fahrten zur russischen Grenze oder Touren auf den Svartisen-Gletscher. Auf der bizarr malerischen Inselgruppe der Lofoten geht es zum Beispiel im Hartgummischnellboot von Bodø durch die schnellste Meeresströmung Europas, den Saltstraumen, zu einer Seeadlersafari.

Frischer Fisch für die Möwen

Im schmalen, von hohen Bergen flankierten Raftsund steigen die Gäste auf ein wendiges Boot um, das das Hurtigruten-Schiff begleitet, umflattert von Möwen, die mit frischem Fisch gefüttert werden. Abhängig vom Wetter geht es auch in den Trollfjord: Der engste Fjord Norwegens mit seinen senkrecht aufragenden Felswänden, die man von Bord fast berühren kann, ist eine der Hauptattraktionen des Landes. Das Schiff dreht im Talschluss auf dem Fleck um 360 Grad, ohne an den Fels zu schrammen. Im malerischen Lofoten-Städtchen Svolvær ist auch wieder Zeit für einen Bummel, für Shopping oder einen Restaurantbesuch. Wer seinen Besichtigungsradius erhöhen will, mietet an Bord ein Fahrrad.

Tags darauf überquert das Schiff den Polarkreis – ein Denkmal auf einer Minischäre macht auf die imaginäre Linie aufmerksam, während von vis-à-vis Bergzacken mit Schneehauben bis weit in den April und Juni herüber grüßen.

Hauptattraktion der Tour ist die Küstennatur Norwegens. Schroffe Felswände, hohe Gipfel und einer der größten Gletscher Europas wechseln mit sanften, grünen Hügeln, menschenleeren Inseln und Schären und tief in die Berge eingeschnittenen Fjorden, in die aus schwindelerregender Höhe mächtige Wasserfälle donnern. Fischerorte und charmante Städtchen fügen sich in die durchgehend monumentale Natur des Landes ein. Im Sommer verbringen viele Gäste die Tage im Liegestuhl auf dem Sonnendeck, um sich so wenig wie möglich entgehen zu lassen, etwa das Scherenschnittpanorama der über 1000 Meter hohen Bergkette „Sieben Schwestern“. Und im Winter bleiben viele für ein geisterhaftes Naturschauspiel nächtelang wach, das Nordlicht. Die Sonne erreicht in ihrem neun- bis 13-jährigen Aktivitätszyklus 2013/2014 ein Maximum, die Chancen auf eine sichtbare Aurora Borealis sind hoch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2013)

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