Salzbäder im Toten Meer des Atlantiks

(c) www.BilderBox.com (www.BilderBox.com)
  • Drucken

Baden in Salinen, an langen Sandstränden, nach Wracks tauchen, Haie watchen, Kite- oder Normalo-Windsurfen, Bohnen mit Mais und Reis und mehr oder weniger Fleisch kosten: über den rauen Liebreiz von Sal, einer trockensten Inseln der Welt, auf der 350 Tage im Jahr die Sonne scheint.

Und wenn es ein paar Inseln im Atlantik gäbe, mit präsentablen Sandstränden, fast regenfrei, wo das Meer warm bleibt, die Lufttemperatur kaum je überhitzt, und die nicht überlaufen sind? Gibt es ja! Ende des 15. Jahrhundert wurde die Inselgruppe Cabo Verde entdeckt und über die Jahrhunderte langsam und spärlich besiedelt. 1975, nach der Nelkenrevolution Portugals, erlangte das Gebilde die Unabhängigkeit.
Flughafengebühren, Krustentierexport und Zahlungen der Auslandsstaatsbürger – 700.000 Kapverdianer leben anderswo – machten bis vor Kurzem je ein Drittel des BIPs aus. In den letzten zwei Jahrzehnten absolvierten die Kapverden jedoch den Crashkurs Tourismus. Heute rückt das kleine afrikanische Land mit europäisch-brasilianischer Identität (500.000 Einwohner) ins Bewusstsein der Welt. Als sich die Fußballnationalmannschaft im Vorjahr erstmals für den Afrikacup qualifizierte, lernte man das lockere, coole Cabo Verde auch international zu buchstabieren. „No stress“ ist die lokale Devise, auf T-Shirts mit der Nationalfahne gedruckt. Und es gibt tatsächlich nur einen einzigen Stress: Süßwasserknappheit.
Die ersten Schritte wagen Kapverde-Neulinge meist auf jener fast regenfreien Insel, die bei blasierten Reiseprofis ungerechterweise als die langweiligste des Archipels gilt, weil sie bequem erreichbar (internationaler Flughafen), fast ganz flach ist und kaum Rätsel birgt: Die kleine Scheibe im ewigen Blaubreit, überzogen von Geröllwüste und Sand, muss sich dennoch nicht hinter Destinationen wie der Karibik verstecken: Da tummeln sich Schiffe mit Wracktauchern, Glasbodenboote, Shark-Watching-Kähne und Hochseefischer. An den Küsten herrschen Korallentaucher vor, Wasserskifahrer und die vom Nordostpassat begünstigten Kite- und Normalo-Windsurfer sowie Wellenreiter.
In Santa Maria im Süden, wo sich an langen Stränden ein Dutzend Hotels aneinanderreiht, verlaufen sich die Badenden zwischen Dünen und Brandung – große Natur. Santa Maria mit seinen 15.000 Einwohnern wirkt zunächst so gar nicht wie ein Traumstädtchen. Ein bisschen Kolonialflair, viele Leerflächen. Kleinläden für Kleidung und Ramsch in abenteuerlich zusammengestückelten Häusern. „Hello my friend, come from where? Visit my shop. No stress! Australia my favourite country.“
Die Kapverdianer betrachten das Geschäftsgebaren mit versteinerten Mienen, die Verkäufer kommen aus Afrika und sprechen meist nicht einmal das lokale Crioulo: „Ein Kapverdianer würde niemals einen Passanten ansprechen, um ihm etwas zu verkaufen!“
Am besten man ignoriert die Shops und macht einen Abstecher ins Market Place Café, wo jeder einzelne Tisch die Form einer der kapverdischen Inseln hat. Oder man erholt sich im Café Cultural am Hauptplatz bei Cachupa, einem der Kargheit abgetrotzten Eintopfgericht aus Mais und Bohnen mit Fleischbeilage, je nach Menge Cachupa pobre oder Cachupa rica.

Chinashops und Tischfußball


Wer Überschaubares liebt, wird Sal mögen: Neben den Stränden findet man die verschlafene Hafenstadt Palmeira mit ihrem Fischfabrikcharme vor, und in Flughafennähe die stressfreie Hauptstadt Espargos (17.000 Einwohner). Heißt so, weil hier einst wilder, gelber Spargel wuchs. Hat anmutige Boulevards, Chinashops und ein öffentliches Tischfußballgerät. Mehr ist da nicht – no stress.
Wohin kann man nun von Sal aus reisen, um weitere Cachupa-Variationen zu testen? Nach Santiago, ins schwarze Herz des Inselstaats, mit der Hauptstadt Praia oder zum kolonial geprägten Hafen Mindelo auf São Vicente, Heimatstadt der jüngst verstorbenen Sängerin Cesária ?vora. Weitere Punkte im ewigen Blau: Fogo, erstaunliche Vulkaninsel mit grauschwarzen Stränden, Brava, die Blumeninsel, Santo Antão mit Hochgebirge und grünen Tälern, São Nicolau, traditionell, Maio, sandig – und Boavista, eine Variation von Sal mit weniger Salz, dafür mehr Sand.
Das weitgehend niederschlagsfreie Sal fristete lange ein ärmliches Dasein. Weltumsegler Dampier schrieb 1683, Sal hieße so wegen „der großen Menge Salz, welche die Natur dort erzeugt“, verfüge über unfruchtbare Böden, etliche elende Ziegen und fünf oder sechs Bewohner. „Ein recht armseliger sogenannter Gouverneur sagte uns, dass binnen drei Jahren kein einziges Schiff dorthin gekommen sei.“ Das änderte sich, als 1833 bei Pedra de Lume riesige natürliche Salzlagerstätten gefunden wurden, für die in Westafrika Bedarf bestand, wo man Fisch konservieren wollte. Bis in die Dreißigerjahre wurde in einem Krater von einem knappen Kilometer Durchmesser einige Meter unter dem Meeresspiegel in großem Stil Salz abgebaut. Die hölzernen Stützen der Hängebahn (1922–1988), errichtet vom französischen Unternehmen Les Salines du Cap-Vert, sind fast unbeschädigt erhalten, die Talstation am Hafen zerfällt auf pittoreske Art. Heute ist die Produktion fast zum Stillstand gekommen.
Dafür kann man in einem der Salinenbecken baden. In diesem Toten Meer des Atlantiks sollte man aber besser keinen Tropfen in die Augen kriegen. Untertauchen ist ebenso verboten wie unmöglich, denn die tieferen Wasserschichten sind brennheiß. Beim Café stehen ein paar öffentliche Duschen zur Entfernung der Salzkruste für einen Euro, wenngleich die Einheimischen von Waschungen abraten, weil sie als „gesund“ gilt.

Kein wirkliches Wasser

Die bizarre schwarze Lavalandschaft von Buracona verweist auf die vulkanische Herkunft Sals. Vorwitzige Reisende baden im idyllischen Felsnaturbrecken. Doch die Einheimischen warnen jetzt doch vor Stress: Ein Deutscher und ein Franzose sind in den letzten Jahren von höheren Wellen, die hier ohne Vorwarnung heranrauschen, ins offene Meer gezogen worden, ohne Wiederkehr.
Gefahrloser ist es, einen Blick in die Schlucht zu werfen, in der die Vormittagssonne in schrecklicher Tiefe das „Olho azul“ entstehen lässt – ein türkises Lichtauge von erstaunlicher Schönheit. Aber aufpassen, Deutsche, Franzosen, alle! Hier in Buracona befinden wir uns noch nicht im Mainstream-Tourismus, die Schlucht ist völlig ungesichert. Als total gesichert würde Besuchern hingegen ein paar Kilometer weiter die Existenz dieses riesigen Sees am Horizont erscheinen, der sämtliche Wasserprobleme Sals lösen würde – doch es handelt sich um eine Fata Morgana, die sich bei einer Jeeptour ans vermeintliche Ufer zusehends auflöst. Die Kapverdianer führen ihr Naturphänomen mit resignativer Ungläubigkeit vor. Kein wirkliches Wasser? No stress!

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.