„Trau di, bis do könn' mer foahrn!“

(c) Stefan Brünjes
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Hansi Hinterseer ist neben der steilsten Piste der Welt aufgewachsen: Die Streif in Kitzbühel war sein Schulweg.

Abfahrt? Hier gibt's nur eines: Absturz! Geradewegs in den Abgrund. Beim Blick aus dem Starthaus hinunter sind das die ersten Gedanken. Übrigens nicht nur von Hobby-Carvern. „I foahr do net runter“, sagte Franz Klammer bei seinem ersten Streif-Start 1973. Er hat dann aber viermal gewonnen, so oft wie kein anderer. Wer das heute schaffen will, muss von null auf 130km/h in acht Sekunden. Mit dieser Beschleunigung geht's runter in die Mausefalle, den Abgrund mit 85 Prozent Gefälle. „Trau di, bis do könn' mer foahrn“, sagt Hansi Hinterseer. Tatsächlich, der Starthang ist nicht vereist, wir kommen heil an der Kante zur Mausefalle an.

Wir biegen auf die Familienstreif ab, die Umfahrung aller Steilstücke der Rennstrecke. Hansi immer voraus, blond, strahlend und naturburschig wie in den TV-Shows und Filmen. Die Streif ist eine 3312 Meter lange, künstlich vereiste Autobahn, am Rand müssten eigentlich Holzkreuze mit Blumen stehen für die vielen Opfer. Beim Teilstück mit dem wenig Vertrauen erweckenden Namen Gschöß biegen wir wieder auf die Renn-Streif ein. Hüftpfannenfraktur, Darmriss, Schädel-Hirn-Trauma und Lungenquetschung, das sind alle Jahre wieder typische Hahnenkamm-Diagnosen, trotz einer Sicherheitszaundichte wie bei der Formel 1. Aus der Vollbremsung von notorischen Rasern macht Kitzbühel seit Jahrzehnten ein Galaevent mit 1a-Promigedränge. Wenn der Weltcupzirkus die Formel 1 des Skisports ist, dann ist Kitzbühel sein Monte Carlo und sein Ballermann.

Mit Skiern in die Schule

„Do oben wor's, auf der Seidlalm, wo i aufg'wachsen bin“, zeigt Hinterseer auf den Geburtsort des Hahnenkammrennens. Toni Sailer und zwei Journalisten haben im Januar 1966 die Idee in der heute noch fast unveränderten engen Stube der Alm geboren. Der elfjährige Hansi saß dabei. Im Winter fuhr er jeden Morgen mit den Skiern nach Kitzbühel zur Schule. „Die begann um halb acht im Dunkeln, darum bin ich immer erst um neun runter und hab' manches verpasst, leider“, erzählt Hinterseer augenzwinkernd. Klein-Hansis tägliches Abfahrtstraining brachte ihm später als Rennläufer einen wichtigen Vorteil gegenüber Konkurrenten: Respekt ja, aber keine Angst vor der Streif. Keine Angst? Rechts tut sich der nächste verschneite Schlund auf. Da hinunter? Entscheidung vertagt, vorher ist wieder einer dieser Servus-Hansi-Momente: Diesmal keine Touristen, die ein Foto wollen, sondern Alois Vötter, ein 85-jähriges Kitz-Original.

Hansi ist heute gnädig mit seinem Gast und bleibt mit Zeitlupenschwüngen auf der Familienstreif. Wie knie- und knochenschonend das ist, zeigt sich ein paar Kurven weiter unten beim Blick auf eine weiße Wand, die Hausbergkante. „Die schwierigste Stelle der Abfahrt“, sagt Hinterseer. Wenn die Rennläufer hier aus dem Wald geschossen kommen, sind sie am Ende ihrer Kräfte, müssen aber jetzt erst Höchstleistung bringen: mit 120km/h über Bodenwellen und einem Druck auf die Beine, als müssten sie 1200 Kilo stemmen.

Sekunden später der Zielsprung. Wer hier abhebt, landet schon einmal im Koma, wie der Schweizer Daniel Albrecht 2009. Also – sooo gefährlich sieht der Zielhang gar nicht aus. Also los, wenigstens hier einmal in Falllinie runter, den Streif-Schuss wagen. Aber ich wechsle schnell wieder in den Zeitlupen-Angstschwung. Hansi lächelt milde.

Und wieder hinauf. Oben ab in das Starterhaus, sich abstoßen Richtung Mausefalle wie Hermann Maier. Ich fliege mindestens zehn Meter weit, krache unsanft auf die Piste. Sie rumpelt unter mir wie ein Erdbeben. Blaue Streckentore und orangefarbene Fangzäune fliegen vorbei, meine Oberschenkel brennen, fast fliege ich aus den scharfen Kurven. Zielsprung, Vollbremsung, Stöcke jubelnd in die Höhe.

Na also, geht doch! Aber nur, weil dieses persönliche Hahnenkammrennen ein Film ist, auf einem Bildschirm für Videospiele im Bergbahnmuseum von Kitzbühel.

SICH BETTEN IN KITZ

Schlafen. Es gibt auch preiswerte Angebote in Kitz: sieben Ü/HP im Viersternehotel ab 694Euro p.P. oder im Apartment ab 351Euro inklusive Skipass (Kitzbüheler Alpen Allstarcard), der auch für die Skigebiete Wilder Kaiser/Brixental oder Saalbach-Hinterglemm gilt. kitzbueheler-alpen.com

Der Autor war vom TVB Kitz eingeladen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2014)

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